Freiheit und Selbstbestimmung, Säkularität, Flucht und Asyl

Freiheit und Selbstbestimmung, Säkularität, Flucht und Asyl

LAG Säkulare Grüne, 11.3.18, Mannheim mit Rana Ahmad, Azadeh Beigi und Werner Hager
Bericht

 

Die LAG-Sitzung SG begann mit einem Beschluss anlässlich des Weltfrauentags, der drei Tage zuvor begangen wurde. Weltweit hätten viele Frauen nichts zum Feiern, so heißt es darin, denn nach wie vor litten viele unter religiöser und patriarchaler Bevormundung und Unterdrückung. Die LAG begrüßte es einstimmig, wenn Frauen – wie vor kurzem im Iran – als Zeichen des Protests das Kopftuch ablegten und damit gegen religiös begründete Kleidervorschriften, Lebensregeln und Rollenzuweisungen und für die Grund- und Freiheitsrechte aller demonstrierten. Individuelle Freiheit und Selbstbestimmung seien unmöglich, wenn meist religiös tradierte Zwänge feste Rollen vorgäben.
Ausdrücklich abgelehnt wurde, Kleidervorschriften unter dem Deckmantel „divergierende Feminismen“ und „hybride Identitätsvarianten“ zu rechtfertigen.

Die LAG betonte weiterhin, dass es erfreulich sei, wenn weltweit immer mehr Frauen den Schleier als Fahne der Befreiung hissten. Gleichzeitig wünschte sie, dass alle, die jetzt für ihre Grundrechte kämpften, Unterstützung fänden auf dem Weg in eine säkulare und demokratische Gesellschaft. Doch klar war auch, dass dieser Wandel Zeichen der Solidarität braucht. Deshalb fordert die LAG „westliche Politikerinnen auf, sich bei Besuchen in anderen Ländern nicht zu verschleiern. Auch männliche Politiker müssen klare Signale senden, indem sie den auf ihre Kolleginnen ausgeübten Druck nicht hinnehmen.“

 

Die angekündigte Buchvorstellung „Frauen dürfen hier nicht träumen“ wurde überflüssig, denn die Autorin Rana Ahmad hatte es doch geschafft, nach Mannheim zu kommen. Zusammen mit Azadeh Beigi und Werner Hager bestärkte sie die LAG darin, die besonderen Schwierigkeiten säkularer Menschen und auch säkularer Flüchtlinge stärker zu beachten: Der Beschluss am Anfang war dazu ein passender Auftakt.

Werner Hager, Sprecher der LAG Säkulare Grüne NRW und aktiv beim Secular Movement in Exile, leitete die weitere Debatte, die unter dem Stichpunkt „Religion als Fluchtgrund“ auf der Tagesordnung stand, mit einem Vortrag ein. Wie auch das Aufreifen des Thema zeige, werde heute nicht mehr bestritten, dass Flucht und Asyl ein Thema auch für Säkulare sei. Wichtig sei jedoch deutlich zu machen, dass säkulare Flüchtlinge in Europa angekommen, oft feststellten, dass Europa nicht so säkular sei, wie es das äußere Bild vermuten ließe. Außerdem sei der Bruch mit der Religion nicht einfach nachzuweisen. Häufig sei es einfacher, offiziell zu konvertieren.

Neben der alten Debatte um offene Grenzen und globale Bewegungsfreiheit als ein individuelles Menschenrecht gehe es beim Thema Asyl auch immer um die Frage, welche Merkmale und Kriterien zur Anerkennung der Asylsuchenden führen. Werner Hager führte zu Beginn des Vortrags in die Grundfragen des politischen Systems ein. Er stellte zwei unterschiedliche Ansätze vor: Ein Staat kann Menschen helfen, die er politisch unterstützen will. Oder er kann unparteiische Kriterien aufstellen, welchen Menschen er hilft. Die Bundesrepublik wählte rechtlich den zweiten Ansatz. Trotzdem habe die Bundesrepublik beispielsweise dem säkularen bengalischen Blogger Mahmudul Munshi beim Verlassen seines Landes geholfen. Die Böll-Stiftung beherbergte ihn während seines Asylprozesses. Das Handeln von Institutionen werde eben nie gänzlich wertfrei sein, für Parteien oder parteinahe Strukturen wäre dies auch das Ende ihrer Existenzberechtigung. Da Flucht, Asyl und Migration aber nicht nur politische, sondern auch humanitäre Fragen betreffe und Parteien unzuständig für Humanitäres seien, sei das Thema perfekt für Kirchen und für eine Zivilgesellschaft, die sich kirchenähnlich verhielte.

Nach dem Blick auf die Politik beschäftigte sich Werner Hager mit den säkularen Flüchtlingen. Dabei stellte er klar, dass der Begriff „Atheismus“ nicht ausreiche, weshalb er vorschlägt, den Begriff „fehlende Säkularität“ zu nehmen: Fliehen müssten nämlich all diejenigen, die säkulare Vorstellungen haben, die Politik und eine religiös begründete Moral nicht in eins setzen und die Religionsfreiheit für ein Recht halten.

Dabei schließt der Fluchtgrund Säkularität neben Nichtgläubigen politische Aktivist*innen für Säkularität, aber auch Apostat*innen und von der Verfolgung von LGBT Betroffene ein. Also auch Menschen, die selbst religiös sein können. Anstehen würde die Erweiterung auf ein Recht auf Emanzipation. Werner Hager  betonte noch einmal, dass Europa und Deutschland oft eine Enttäuschung für säkulare Flüchtlinge seien, denn sie hätten es hier mit zahlreichen kirchlichen Trägern zu tun, die Unterbringung in den Heimen sei oft problematisch wegen anderer stark religiöser Flüchtlinge und Nichtreligiösität als Fluchtgrund werde praktisch nicht anerkannt. Politische Weiterarbeit erfolge außerdem wenig, weder Parteien noch Gewerkschaften seien besonders involviert.

An diesem Punkt stellte Werner Hager die Initiative Secular Movement in Exile vor, in der er aktiv ist. Diese arbeitet an der Vorbereitung eines Kongresses und will säkularen Flüchtlingen eine Stimme verleihen. Wir müssen grundlegender werden, forderte Werner Hager zum Schluss: „In einer zukünftigen Weltordnung muss Platz für Säkulare bleiben. In Deutschland muss das Bildungssystem garantieren, dass die Bedeutung von Säkularität klar gestellt ist, säkulares Recht akzeptiert und auch propagiert wird und die Außendarstellung unserer Gesellschaft eine säkulare ist. Dies schließt Symbole und Infrastruktur ein. Wenn es nicht gelingt zu zeigen, dass der Bruch mit der Tradition eine wünschenswerte Zukunft, Republiken als nichtreligiöse politische Einheiten, Frieden und Wohlstand hervorbringen, wird die Welt nur unangenehmer. Wenn Europa sich einmauert, in ein Festungswelt-Szenario übergeht, selbst die Menschen zu identitärem Denken anregt und gleichzeitig die Anrainerregionen kollabieren lässt, dann hilft auch die Unterstützung einiger Säkularer nicht.“

Rana Ahmad stellte anschließend ihr vor kurzem erschienenes Buch „Frauen dürfen hier nicht träumen“ und die Säkulare Flüchtlingsinitiative e.V. vor.

Rana  Ahmad, die 2015 aus Saudi-Arabien floh, wurde auch in Deutschland für ihre Kritik an der Religion und wegen ihrer öffentlichen Äußerungen und des Buchs angegriffen und bedroht. Ihr ist es trotzdem wichtig, mit ihren öffentlichen Auftritten auf die Problematik säkularer Flüchtlinge aufmerksam zu machen und ihnen mit ihrer Säkularen Flüchtlingsinitiative zu helfen. Auf ihrer abenteuerlichen aber doch erfolgreichen Flucht erhielt sie unter anderem Hilfe von Richard Dawkins, der dazu aufgerufen hat, ähnliche Initiativen zu starten. Die Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. arbeitet humanitär und unterstützt primär Apostat*innen. Sie ist eng mit der Giordano-Bruno-Stiftung verknüpft.

Azadeh Beigi, die 2003 aus dem Iran nach Deutschland kam, bekräftigte die Aussagen ihrer VorrednerInnen. Deutlich wurde dabei auch, dass in Deutschland oft das Verständnis dafür fehlt, wie stark die religiös begründeten Vorschriften in anderen Ländern sind und wie weitreichend sie das Leben der Menschen bestimmen. Die Freiheit in der westlichen Welt, sich nach eigenem Wunsch zu kleiden, würde die Zwänge in den religiösen Vorschriften unsichtbar machen.

In der anschließenden Debatte konnten nicht mehr alle Punkte ausführlich diskutiert werden. Doch ein Positionspapier wurde trotzdem noch beschlossen. Dort heißt es: „Säkularität ist ein Fluchtgrund, den wir sichtbar machen müssen.“ Eine längere Diskussion entstand um die Frage, was Säkularität bedeutet und es wurde erklärend angefügt, dass das Thema auch die Menschen betreffe, die z.B. aufgrund einer atheistischen Haltung religiöse Argumentation in Frage stellten. Gefordert wird, dass staatliche Integrationspolitik an keinem Punkt ausschließlich von religiösen Handlungsträgern geleistet werden dürfte. Außerdem hieße Integration von Geflüchteten auch frühzeitig politische Bildung, Kontakt zu deutschen Parteien sowie zu den Gewerkschaften, die Menschen auf ihre Mibestimmung beim Zugang zum Arbeitsmarkt vorbereiteten. Parteien und Gewerkschaften seien gefordert, demokratische Beteiligung zu ermöglichen. Ebenso wurde betont, dass keine religionsbezogenen Daten von Flüchtlingen erfasst werden sollten.

Das Thema Blasphemie wurde vertagt, denn dazu ist eine LAG -Sitzung im September geplant. Ebenso die weitere Auseinandersetzung mit dem Begriff Säkular. Dazu wird von den Sprecherinnen ein Papier erarbeitet, das in der nächsten Sitzung vorgestellt und besprochen werden soll.

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