Neue religiöse Feiertage in Deutschland? Ein Stellungnahme der Humanistischen Union

Nach dem Reformationstag als bundesweitem Zusatzfeiertag im Jahr 2017 ist eine Debatte insbesondere in den nördlichen Bundesländern entbrannt, ob nicht generell ein weiterer gesetzlicher Feiertag geschaffen werden soll. Offizielle Begründung: die nördlichen Bundesländern hätten im Verhältnis zu den südlichen Bundesländern im Durchschnitt weniger gesetzliche Feiertage. Ein Thema, über das somit durchaus zu reden ist.

Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin hat die Einrichtung eines weiteren gesetzlichen Feiertages abgelehnt, in Hamburg ist mit Stimmen aus allen Fraktionen der Reformationstag als Feiertag beschlossen worden, in Niedersachsen liegt ein Gesetzentwurf der rot-schwarzen Koalition vor, ebenfalls den Reformationstag als gesetzlichen Feiertag einzurichten.

Hierzu hat Johann-Albrecht Haupt für die Humanistische Union ablehnend Stellung genommen. Er sieht in der Einrichtung eines spezifisch evangelischen Feiertags – bei ständig abnehmender religiöser Homogenität – einen Affront gegen Andersgläubige und insbesondere gegen den ständig wachsenden Bevölkerungsanteil der Religionsungebundenen.   Das Gesetz verstößt nach der vorgelegten Analyse gegen das staatliche Neutralitätsgebot und könnte bereits deshalb verfassungswidrig sein.  Johann-Albrecht Haupt schreibt: „… Jedoch sollten Regierung und Parlament bei der Ausübung ihres gesetzgeberischen Ermessens den Neutralitätsgedanken jedenfalls in ihre Überlegungen einbeziehen und dabei die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso vermeiden wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Dafür, dass entsprechende Ermessensüberlegungen überhaupt stattgefunden haben, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung jedoch nicht der geringste Anhaltspunkt.“

Im folgenden ist mit freundlicher Genehmigung von Johann-Albrecht Haupt  die gesamte Stellungnahme im Wortlaut veröffentlicht. Die von ihm erwähnten Gesichtspunkte werden  bei der Diskussion auf der BAG-Tagung der Säkularen Grünen im April 2018, zu dem der Autor als Referent eingeladen ist, eine gewichtige Rolle spielen.

Walter Otte

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Im folgenden die Stellungnahme:

 

HUMANISTISCHE UNION e.V. – Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin

Tel.: 030 / 20 45 02 –56

Fax: 030 / 20 45 02 – 57

info@humanistische-union.de

www.humanistische-union.de

Berlin, 24.03.2018

 

 

 

Stellungnahme

zum Gesetzentwurf der Landesregierung

zur Änderung des Niedersächsischen Feiertagsgesetzes

vom 6. März 2018

 

Die Humanistische Union, eine Bürgerrechtsorganisation, nimmt zu dem Gesetzentwurf vor allem unter dem Gesichtspunkt der von der deutschen Verfassung gebotenen weltanschaulichen Neutralität des Staates Stellung.

 

  1. Zum Verfahren

 

Die Humanistische Union beanstandet, dass bei der Suche nach einem zusätzlichen gesetzlichen Feiertag für Niedersachsen die Landesregierung sich frühzeitig und voreilig auf den Reformationstag festgelegt hat. Die Fokussierung der Landesregierung, namentlich des Ministerpräsidenten, auf diesen Tag und die entsprechende Verabredung mit den norddeutschen Länderregierungschefs lässt die Berücksichtigung von Alternativen im Gesetzgebungsverfahren praktisch kaum noch zu. Eine offene Suche nach Alternativen zum Reformationstag unter Beteiligung der Öffentlichkeit in den Ländern hat erkennbar nicht ernsthaft stattgefunden.

 

Der Druck, gerade den Reformationstag als zusätzlichen gesetzlichen Feiertag in den norddeutschen Ländern einheitlich zu wählen, wird dadurch verstärkt, dass die Gesetzesbegründung auf ökonomische Aspekte wie die notwendige Störungsfreiheit der Produktions- und Lieferketten, die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen oder Transportprobleme (Fahrbeschränkungen an Feiertagen) hinweist (Seite 9 der Gesetzesbegründung). Dabei wird verschwiegen, dass der Landesgesetzgeber die konkrete und differenzierte Ausgestaltung der an Feiertagen geltenden Beschränkungen für den Wirtschaftsverkehr regeln und dadurch Beeinträchtigungen vermeiden oder minimieren könnte, wie dies bereits jetzt in §§ 4 bis 6 des Niedersächsischen Feiertagsgesetzes partiell der Fall ist.

 

Außerdem vermissen wir Hinweise auf Erfahrungen mit der ohnehin in den deutschen Ländern bestehenden Unterschiedlichkeit bei den Feiertagen: Hat es die befürchteten Probleme im Verhältnis zu den ostdeutschen Ländern gegeben, die bereits jetzt den Reformationstag geschützt haben? Gibt es die befürchteten Auswirkungen auch, und wenn ja, in welchem Umfang, bei den zusätzlichen katholischen Feiertagen in Nachbarländern wie Nordrhein-Westfalen?

 

2. Zum Gesetzesinhalt

 

Wir meinen:

Das Land Niedersachsen sollte davon absehen, den Reformationstag (31. Oktober) als weiteren gesetzlichen Feiertag vorzusehen. Zwar ist der Gesetzgeber unseres Erachtens frei sowohl bei der Frage, ob es eines zusätzlichen Feiertags bedarf, als auch bei der Auswahl desselben, sofern sachliche Gründe für einen bestimmten Tag sprechen. Die im Regierungsentwurf für den Reformationstag vorgebrachten Gründe für die Auswahl des Reformationstags halten wir für bedenklich und nicht für überzeugend.

 

  1. „Protestantische Prägung“ des Landes (Gesetzesbegründung Seite 3)                a) Die Rede von der „protestantischen Prägung“ verschweigt, dass es nicht unbeträchtliche Gebiete des Landes Niedersachsen gibt, die – bezogen auf die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung – gerade nicht protestantisch, sondern katholisch geprägt sind: Emsland, Südoldenburg, Eichsfeld.

b) Bezogen auf konfessionelle Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung konnte noch

 im Jahre 1939 bei einem protestantischen Anteil von 78,6 %,

 im Jahre 1961 bei einem protestantischen Anteil von 76,9 %

 und auch noch im Jahre 1987 bei einem protestantischen Anteil von 66,1 %

an der Gesamtbevölkerung mit einiger Berechtigung von „protestantischer Prägung“ des Landes gesprochen werden

Im Jahre 2016 (letzte verfügbare Zahl: 31.12.2016) liegt der Anteil der evangelischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung jedoch nur noch bei 44,85 % (3.563.850 Mitglieder von 7.926.599 niedersächsischen Einwohnern2); die in der Gesetzesbegründung Seite 3 genannten Zahlen von „rund 3,86 Millionen evangelische Christinnen und Christen“ und „rund 50 Prozent der Bevölkerung“ sind nicht nur „geschönt“ und falsch, sondern verschleiern gerade das Schwinden der „protestantischen Prägung“, eine Prägung, die zu früheren Zeiten den Reformationstag allenfalls noch hätte legitimieren können, jedoch heute kaum mehr.

(1 Zahlen nach: Statistisches Taschenbuch Niedersachsen 1990, hrsg. v. Niedersächsischen Landesverwaltungsamt, Tabelle 5.1, S. 56.,  2 Zahlen nach Evangelische Kirche in Deutschland, Kirchenmitglieder 2016 – Kurztabellen – , Juli 2017 , Tabelle 2.)

c) Die Tendenz abnehmender weltanschaulicher Homogenität hält seit Jahren an, ohne dass gerade im protestantischen Spektrum eine Richtungsänderung in der Tendenz erkennbar wäre:

Von 2011 (3.889.768 Mitglieder) bis 2016 (3.563.850 Mitglieder) verloren die evangelische Landeskirchen in Niedersachsen über 325.000 Mitglieder, also etwa 8,4 %. Bei anhaltender Tendenz läge der protestantische Bevölkerungsanteil in Niedersachsen im Jahr 2021, also nach weiteren 5 Jahren, bei rd. 3.250.000 Mitgliedern, das wären 41 % der Bevölkerung.

 

  1. Von den neun bestehenden gesetzlichen Feiertagen in Niedersachsen, zeichnen sich – sieht man von den Sonntagen gänzlich ab – sechs bereits jetzt durch ihren christlichen Charakter aus. Nach unseren Beobachtungen ist der spezifische Charakter dieser religiösen Feiertage im überwiegenden Teil Bevölkerung häufig nicht bekannt, jedenfalls aber kaum verhaltensbestimmend.

Wir halten die Annahme für lebensfremd, dass ein weiterer Feiertag christlicher Prägung von den Menschen anders wahrgenommen und begangen wird. Vielmehr wird – was nicht zu beanstanden ist – auch ein solcher arbeitsfreier Tag als willkommene Gelegenheit zur Erholung oder beliebiger Freizeitgestaltung genutzt werden – ungeachtet seiner evangelisch-konfessionellen Prägung. Zudem besteht beim 31. Oktober die Wahrscheinlichkeit der Überlagerung und Verdrängung des spezifischen Charakters dieses Tages durch das vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebte Halloween.

 

  1. Es erscheint uns als Illusion, dass ein solcher Tag einer größeren Zahl von Menschen wirklich Veranlassung gibt, die Prägung der Gesamtgesellschaft durch die Reformation zu reflektieren, wie die Gesetzesbegründung auf S. 3 f. vermutet.

Wir können nicht feststellen, dass die Veranstaltungen des Reformationsjahres 2017 „einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs“ geschaffen hätten, insbesondere „über die Bedeutung von Religion, das Verhältnis von Religionen und Konfessionen sowie das Verhältnis von Staat und Kirche“, wie die Gesetzesbegründung (S. 4) behauptet. Es fehlt auch jeder Nachweis für diese kühne These. Vielmehr hat sich nach unserem Eindruck das einmalige Reformationsjubiläum im Jahr 2017, welches mit einem einmaligen, ganz erheblichen staatlichen und kirchlichen Mitteleinsatz gefördert worden ist, bereits kurze Zeit danach als praktisch folgenlos erwiesen, jedenfalls außerhalb des engeren Kreises der kirchlichen Beteiligten.

Wir halten es für ausgeschlossen, dass die jährliche Wiederholung des Reformationstages als gesetzlicher Feiertag ohne den „Jubiläumskick“ diskursfördernder und damit „erfolgreicher“ im Sinne der gesetzgeberischen Idee sein könnte. Dabei wäre – um nicht missverstanden zu werden – gerade nach Auffassung der Humanistischen Union ein echter „gesellschaftlicher Diskurs“ namentlich über das verfassungsrechtlich gebotene Verhältnis von Staat und Kirche außerordentlich wünschenswert. Anstöße, sowohl von kirchlicher wie auch von staatlicher Seite, zu einem solchen Diskurs vermissen wir seit vielen Jahren. Eines zusätzlichen gesetzlichen kirchlichen Feiertags bedarf es dafür am aber allerwenigsten.

 

  1. Der Staat „als Heimstatt aller Staatsbürger“3 sollte in seinem Handeln, auch bei der Gesetzgebung, die verfassungsrechtlich gebotene Neutralität in Religions- und Weltanschauungsfragen wahren und beachten. Wenn man die christliche Prägung der bestehenden Feiertage einerseits, die weltanschauliche Vielfalt der Bevölkerung andererseits in Rechnung stellt, ist dieser selbstverständliche Verfassungsgrundsatz durch das Gesetzesvorhaben zumindest gefährdet. Denn mit der Hervorhebung eines weiteren, christlich-protestantisch geprägten gesetzlichen Feiertags wird eine Glaubensrichtung (erneut) bevorzugt, ja privilegiert. Beim Reformationstag handelt es sich um einen eminent evangelisch-lutherischen Feiertag: um das Ereignis der konfessionellen Spaltung des Christentums, um den Tag, an welchem seitdem symbolhaft das protestantische Kampflied „Ein feste Burg ist unser Gott“ gegen die andersgläubigen „Papisten“ seinen festen Platz hatte und noch immer hat.

An dem Charakter dieses Tages ändert sich auch dadurch nichts, wenn der Staat als Zweck des Gesetzgebungsvorhabens ausdrücklich nicht die Hervorhebung einer – der evangelischen – Religion oder gar Martin Luthers ansieht. Der Reformationstag3 Bundesverfassungsgericht Entscheidungen Bd. 19, S. 206/216; Bd. 108, S. 282/299. erhält nicht dadurch einen „religionsübergreifenden Charakter“ (S. 5 der Gesetzesbegründung), dass der Staat dies postuliert. Der fromme Wunsch des Staates, der Reformationstag möge als „Tag der christlichen (!) Ökumene“ und der „interreligiösen Verständigung“ begangen werden (S. 4 der Begründung), ändert nichts an den historischen Fakten. Abgesehen davon ist die damit angestrebte Förderung der christlichen Ökumene wahrlich unter keinem Gesichtspunkt eine Aufgabe des Staates.

Vor allem wendet sich die Hervorhebung der einen protestantischen Konfession durch die gesetzliche Anerkennung ihres Reformationstages als Feiertag praktisch gegen alle diejenigen Bürgerinnen und Bürger, welche dieser Konfession nicht angehören. Wir vermuten, dass diese Menschen nicht ausgerechnet an einem protestantischen Feiertag für einen „gemeinsamen Dialog mit anderen Religionen“ und die „interreligiöse Zusammenarbeit“ in Pflicht genommen werden möchten, wie dies Seite 5 der Gesetzesbegründung vorsieht.

Zu der beschriebenen Mehrheits-Bevölkerungsgruppe gehören nicht nur die Bürgerinnen und Bürger katholischen, muslimischen, jüdischen und anderen Glaubens, sondern auch die ca. 30 Prozent der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger, die keiner Religions-oder Weltanschauungsgemeinschaft angehören, die aber bemerkenswerterweise in der Gesetzesbegründung mit keinem Wort vorkommen. (Sie sind unseres Wissens – anders als die evangelische Kirche – auch nicht bei der Vorbereitung des Gesetzesvorhabens beteiligt worden). Der „Beitrag der anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften zu unserer Kultur “ soll an dem neuen gesetzlichen Feiertag gewürdigt werden (Seite 5 der Gesetzesbegründung), den konfessionsfreien Menschen wird ein solcher Beitrag offenbar gar nicht erst zugetraut.

Wir sehen hier eine Missachtung des staatlichen Neutralitätsgebotes.

Dabei lassen wir im Hinblick auf den Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers ausdrücklich die Frage offen, ob diese Missachtung bereits als verfassungswidrig einzustufen ist. Jedoch sollten Regierung und Parlament bei der Ausübung ihres gesetzgeberischen Ermessens den Neutralitätsgedanken jedenfalls in ihre Überlegungen einbeziehen und dabei die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso vermeiden wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Dafür, dass entsprechende Ermessensüberlegungen überhaupt stattgefunden haben, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung jedoch nicht der geringste Anhaltspunkt.

  1. Wir sehen davon ab, einen eigenen Vorschlag für einen zusätzlichen gesetzlichen Feiertag zu unterbreiten. Ein säkularer Feiertag wäre in jedem Fall vorzuziehen. Alle insoweit bereits von anderen unterbreiteten Vorschläge (z.B. Internationaler Frauentag, Weltkindertag, Tag des Grundgesetzes, Tag der Niedersächsischen Verfassung, 18. März, 8. Mai, 9. November) kommen aus unserer Sicht in Betracht.

 

III. Reformbedarf im Niedersächsischen Feiertagsgesetz

 

Das Gesetz sieht für religiöse Feiertage eine Reihe von Verboten vor, die der Lebenswirklichkeit und der geänderten konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung nicht mehr entsprechen. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat sollte seinen Bürgern nicht bestimmte Verhaltensweisen an religiösen Feiertagen vorschreiben, z.B. ein 67-stündiges Tanzverbot von Gründonnerstag bis Ostersonnabend (§ 9). Es ist den nicht-religiösen, vermutlich auch vielen religionsangehörigen Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vermittelbar, warum selbst Veranstaltungen und öffentliche Versammlungen, welche Gottesdienste und religiöse Feiern nicht stören, an Sonntagen und anderen gesetzlichen religiösen Feiertagen zwischen 7 und 11 Uhr verboten oder zulassungspflichtig sind, wie dies § 5 Abs. 1 Buchst. a) und b) des Gesetzes vorsieht. Art. 139 WRV gibt zu diesen Beschränkungen keine Veranlassung.

Wir regen daher die Streichung der entsprechenden Verbote im Niedersächsischen Feiertagsgesetz an.

Hannover, 24. März 2018

Johann-Albrecht Haupt

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