Positionspapier
Prävention von religiös und weltanschaulich begründetem Mobbing
und konfrontativer Religionsbekundung in Berliner Schulen
Unter Mobbing wird in der Regel das wiederholte und regelmäßige, vorwiegend seelische Schikanieren, Quälen und Verletzen eines einzelnen Menschen durch eine beliebige Art von Gruppe verstanden. Zu typischen Mobbinghandlungen gehören Demütigungen, Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen, Zuweisung sinnloser Aufgaben, Gewaltandrohung, soziale Isolation oder eine fortgesetzte, unangemessene Kritik an einer natürlichen Person oder ihrem Tun. In den Berliner Schulen sind in den letzten beiden Jahren einige Fälle von religiös bzw. weltanschaulich begründeten Mobbings, hauptsächlich antisemitisch motiviert, bekannt geworden.
Unter „konfrontativer Religionsbekundung“ in der Schule verstehen wir Handlungen wie demonstratives Beten (z.B. in der Mensa oder auf dem Schulhof) sowie, jeweils religiös begründet, die offene Ablehnung von naturwissenschaftlichen Unterrichtsinhalten, die Nicht-Teilnahme am Schwimm- und Sportunterricht, die Nicht-Teilnahme an Schulveranstaltungen wie Besuchen von Synagogen oder auch Klassenreisen und die Ablehnung bis hin zu Bedrohung von weiblichem Lehrpersonal.
Darüber hinaus wird aus Berliner Schulen bzw. Schulklassen aller Schultypen, wo Eltern und Schüler*innen mit konservativen und/oder extremistischen muslimischen Religionsverständnis die Mehrheit stellen, berichtet, das dort häufig Druck auf andere ausgeübt wird, religiöse Regeln im schulischen Alltag zu befolgen bzw. durchzusetzen. Dies betrifft Kinder und Jugendliche „innerhalb“ und „außerhalb“ der Community unterschiedlich. Innerhalb der Community (die über Religion oder Herkunft definiert werden kann) sollen konservativ-religiöse Verhaltensregeln durchgesetzt werden, deren Einhaltung der Kontrolle durch dazu selbstberufene Mitschüler*innen unterliegt. Kinder und Jugendliche mit anderer Weltanschauung, Religion und Lebensweise außerhalb der Community werden ausgegrenzt bis hin zu einzelnen Mobbingfällen. Die meisten solcher Vorfälle betreffen aber eine Grauzone, werden in der Regel schulintern bearbeitet und kommen nicht an die Öffentlichkeit. Einige Beispiele hierfür sind die Ausgrenzung von alevitischen Kindern, von Mädchen, die sich nicht der konservativen muslimischen Kleiderordnung und religiösen Moralvorstellungen unterwerfen wollen, und von LSBT*Q-Schüler*innen im Jugendalter.
Die Berliner Schulen haben im Rahmen des Schulgesetzes und ihres Erziehungsauftrages u.a. die Aufgabe, eine individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen und zu schützen. Konservativer bzw. extremistisch motivierter religiöser und weltanschaulicher Druck auf die Kinder und Jugendlichen muss von Beginn an entschieden unterbunden werden. Für diese Aufgabe brauchen die Pädagog*innen in der Schule Unterstützung für das richtige „Wahrnehmen, Deuten und Handeln“ durch inner- und außerschulische Fortbildung und Begleitung.
Das Thema religiös und weltanschaulich begründetes Mobbing wird in den Berliner Schulen in unterschiedlichen Bereichen verhandelt: im Bereich der Antidiskriminierung, wo Weltanschauung und Religion als ein Diskriminierungsgrund benannt wird, und im Bereich der Gewalt- und Mobbingprävention.
Die LAG Säkulare Grüne setzt sich grundsätzlich dafür ein, das „religiös begründetes Mobbing“ und „konfrontative Religionsbekundung“, insbesondere deren Grauzonen, stärker in den Fokus der Präventionsarbeit genommen werden und auch im Bereich der Gewalt- und Mobbingprävention als ein eigenes Arbeitsfeld und als eigener Tatbestand behandelt werden. Dazu müssen von der Berliner Bildungs-, Innen- und Antidiskriminierungsverwaltung ausreichend Angebote für die Schulen vorgehalten werden. Das bisherige Angebot reicht unserer Ansicht nach dafür fachlich und im Umfang nicht aus.
Es gibt im Rahmen der bisherigen Präventionsarbeit in Berlin im Landesprogramm Radikalisierungsprävention bei der Landeskommission gegen Gewalt und im Programm Islamismusprävention bei der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) eine größere Anzahl von Projekten, die sich aber dem „religiös begründetem Mobbing“ und der „konfrontativen Religionsbekundung“ nicht genügend bzw. mit einer einseitigen thematischen Fokussierung annehmen. Die Projekte unterliegen dadurch einer Gefahr der „Täter-Opfer-Umkehr“. Insbesondere dann, wenn der Aspekt der religiösen Ideologie von den Projekten nicht genügend in den Fokus genommen wird und stattdessen der Fokus auf die „Diskriminierung von Muslimen“ oder der „Diskriminierung von Religion in der Schule“ gerichtet ist.
Wenn in der Problembeschreibung der Projekte die Diskriminierung von Muslim*innen als allein bestimmendes Motiv für „religiös begründetes Mobbing“ und der „konfrontativen Religionsbekundung“ gilt, wird man dem mehrdimensionalen Phänomen nicht gerecht, und die eigentlichen Täter werden damit praktisch zu Opfern erklärt. So werden Diskriminierungserfahrungen instrumentalisiert und eine „Täter-Opfer-Umkehr“ erreicht. Eine vorbehaltlose Unterstützung der Kinder und Jugendlichen, die Opfer von religiösem Druck und Mobbing geworden sind oder zukünftig werden, erscheint so nicht möglich, ist aber unbedingt notwendig.
Hinzu kommt verschärfend noch die Verstärkung von extremistischen Opfernarrativen. Der politische Islam und der Islamismus benutzt das Narrativ der Unterdrückung der Muslime und das einer vermeintlichen Gemeinschaft der Muslime. Wenn die Präventionsarbeit diese Narrative stärkt, anstatt grundrechtsklar aufzutreten und die individuellen Rechte und Handlungsoptionen in der demokratischen Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen, werden diese extremistischen Opfernarrative gestärkt und das Gegenteil der angestrebten Präventionsziele erreicht.
Die LAG Säkulare Grüne setzt sich für ein pluralistisches Unterstützungsangebot für die Berliner Schulen mit unterschiedlichen Projektangeboten und -inhalten ein. Dies sollte bestehende Projektangebote zum Thema im Bereich der Antidiskriminierung, Gewaltprävention, Islamismusprävention und auch der Demokratiebildung umfassen. Projekte die einer „Täter-Opfer-Umkehr“ folgen, die konfrontative Religionsbekundung verharmlosen und das extremistische Opfernarrativ stärken, halten wir für problematisch.
Es soll mehr und auch neue Angebote in der Prävention von Mobbing und in den Landesprogrammen für die Berliner Schulen geben, die „religiös begründetes Mobbing“ und „konfrontative Religionsbekundung“ als Phänomen ernst nehmen und auch adäquat bearbeiten. Dafür sollen in den Berliner Landesprogrammen bei der Landeskommission gegen Gewalt und bei der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die Berliner Bildungsverwaltung muss für diese Angebote notwendigen Strukturen u.a. in den Referaten Gesellschaftswissenschaften und Fortbildung schaffen.
Wir setzen uns dafür ein, dass die Prävention von religiös und weltanschaulich begründetem Mobbing und konfrontativer Religionsbekundung ein eigenständiger Schwerpunkt in der Präventionsarbeit wird.
Berlin, den 05.02.2020
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