Atheistische Geflüchtete in Deutschland und solche, die sich für Säkularität einsetzen

Stellungnahme der Säkularen Grünen

Den Säkularen Grünen wurden im September 2019 von einer Zeitung zwei Fragen zur Stellungnahme gestellt. Hier unsere ausführlichen Antworten, die in dieser Länge natürlich nicht abgedruckt werden, die wir aber hiermit auf unsere Website stellen. Die Sprecher*innen der BAG Säkulare Grüne

Frage 1:

Wie sollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ihrer Meinung nach mit Asylbewerbern umgehen, die als Asylgrund angeben, aufgrund des Abfalls vom Glauben in ihrem Heimatland verfolgt zu werden?

Antwort:

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) hat das Recht verbrieft, die Religion zu wechseln oder auch keinen Glauben zu haben. Gerade in klerikalen Herkunftsländern wird dieses Recht nicht nur mit Füßen getreten, sondern Menschen, die es in Anspruch nehmen, werden verfolgt, bis hin zu Körperstrafen, Freiheitsentzug und Mord. Deshalb ist „der Abfall vom Glauben“ ein sehr ernster und anzuerkennender Flucht- und daher Asylgewährungsgrund.

Frage 2:

Wie bewerten Sie den Umgang mit säkularen oder atheistischen Flüchtlingen in Deutschland, zum Beispiel auch durch andere Flüchtlinge, und was müsste getan werden, um ihre Situation zu verbessern?

Antwort:

Atheistischen Geflüchteten soll genauso wie den wegen ihres religiösen Bekenntnisses Verfolgten Asyl gewährt werden. Gleiches gilt für diejenigen, die ihren Herkunftsländern für Säkularität eintreten. Und genauso ist darauf zu achten, dass diese nicht auch von anderen Geflüchteten körperlich oder psychisch diskriminiert, unterdrückt, schikaniert und verletzt werden. Hier fehlen Wissen und Sensibilität. Das muss geschult werden. Denn immer noch werden atheistische oder nicht-religiöse Geflüchtete von Behörden und freiwilligen Helferinnen leider mit den herrschenden Zuständen in ihrem Herkunftsland identifiziert, also kulturalisiert – Zustände, vor denen sie doch geflüchtet sind.
Grundsätzlich sind wir für die schnellstmögliche Unterbringung von Geflüchteten in reguläre Wohnungen, gemeinsame massenweise Unterbringung soll nur bei überwältigendem Andrang existieren. In diesem Fall sind wir prinzipiell für eine integrative Unterbringung. Nicht nur bei gemeinsamer Unterbringung muss aber darauf geachtet werden, dass der Verfolgung atheistischer Geflüchteten nicht nur von anderen Geflüchteten in Deutschland einen Riegel vorzuschieben ist.

Hintergrund:

Das in Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verbriefte Recht, die Religion zu wechseln oder auch keinen Glauben zu haben, wird in vielen Ländern nicht akzeptiert. Menschen werden staatlich oder nichtstaatlich verfolgt oder zumindest massiv diskriminiert. Häufig fehlt ihnen auch schlicht die Möglichkeit, eine sichere Distanz zu ihrer Familie aufzubauen, die sie beispielsweise zwangsverheiraten will.

Es geht also nicht um intellektuelle Auseinandersetzungen zwischen Orthodoxen und Dissident*innen, sondern um konkretes Bashing, um konkrete Unterdrückung der nicht Rechtgläubigen.

Die Fluchtursache lässt sich dann als fehlende Säkularität im Herkunftsland bezeichnen. Neben eher wenigen klassisch politischen Fällen geht es meist um gesellschaftliche Missstände: gesellschaftliche Praxen, die selbst in formal säkularen Republiken auftreten können und die nicht alleine Staatshandeln darstellen.

Hier sollten die Bundesrepublik und die EU erst einmal so ehrlich sein, in ihren Länderreporten die Verhältnisse darzustellen und fehlende säkulare Institutionen zu benennen.

Das Dilemma ist, dass ein Staat den Glauben oder das Fehlen eines solchen eigentlich weder beurteilen kann noch soll. In Bezug auf atheistische Geflüchtete oder solche, die für Säkularität eintreten, kann der Staat aber beurteilen, ob sich der Betroffene ernsthaft zum Atheismus bekennt und/oder für Säkularität eintritt und deswegen in seinem Herkunftsland Verfolgungen ausgesetzt ist.

In diesem Fall hat er oder sie nicht nur Anrecht auf die Unterstützung der Bundesrepublik, sondern ist auch eine Bereicherung für jedes freiheitliche System.

Die Fluchtursache der fehlenden Säkularität in Herkunftsländern wird jedoch nicht nur verschwiegen, säkulare Flüchtlinge werden häufig sogar noch kulturalisiert, also noch als Mitglieder der Gruppe angesehen, die sie verfolgt. Der Aufenthalt in den beengten Verhältnissen von Flüchtlingseinrichtungen birgt somit die Gefahr, dass die Diskriminierungen und Verfolgungen auch im vermeintlich sicheren Zufluchtsort Deutschland weitergehen. Hier brauchen wir mehr Sensibilität, welche Menschen zusammengelegt werden. In den Einrichtungen sollte zudem klar – auch durch Auslegen entsprechender Schriften und Videobotschaften – signalisiert werden, dass Deutschland ein säkulares Land ist, in dem Religionsfreiheit herrscht und in dem Religionskritik immer offen praktiziert werden kann. Denn nur in einem säkularen Staat kann es volle Religionsfreiheit geben.

Viele Entscheiderinnen und Entscheider in der Bundesrepublik bekennen sich nicht offen zur Säkularität Deutschlands, hadern sogar immer noch mit Atheistinnen und Atheisten und haben so Schwierigkeiten damit, den extremen Paria-Status von Atheistinnen und Atheisten in den klerikalen Herkunftsländern anzuerkennen. Säkulare Geflüchtete sind aber nicht nur Opfer, sondern kämpfen auch für eine Änderung in ihren Gesellschaften. Die Durchsetzung des gleichen Rechts für alle auch dort – das liegt im Interesse der Bundesrepublik. Doch sind dies häufig Länder, zu denen besagte Entscheider in der Bundesrepublik ungetrübte Wirtschaftsbeziehungen fortsetzen möchten, statt über die schlechte Menschenrechtssituation und fehlende Säkularität zu reden.

Sachdienliche Hyperlinks:



https://atheist-refugees.com/

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