Cem Özdemir, Jürgen Roth, Diana Siebert, Volker Beck, Walter Otte: Grüne Politik gegenüber Ditib und anderen islamischen Verbänden grundlegend ändern!

 

Cem Özdemir, Jürgen Roth, Diana Siebert, Volker Beck und Walter Otte verlangen eine grundlegend neue Politik gegenüber der von der türkischen Regierung gesteuerten Ditib und anderen konservativ-orthodoxen Islamverbänden. Sie wollen damit eine breite notwendige öffentliche Debatte anstoßen.

Sie fordern die Bundestagsfraktion, die Grünen in den Landesregierungen und den  Landesparlamenten auf ….

… 1. sich für die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses von Bündnis 90/Die Grünen in Münster im November 2016 zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit in einer offenen Gesellschaft einzusetzen. Bündnisgrüne Religionspolitik ist Menschenrechts- und Freiheitspolitik. Zu deren Kernbestand gehört der Schutz des Menschenrechts auf positive und negative Religionsfreiheit und somit das Recht, eine Religion öffentlich zu bekunden aber  auch, sich von ihr öffentlich abzuwenden. Bündnispartner für die Umsetzung einer den  Menschenrechten verpflichteten Politik sind für Bündnis 90/Die Grünen nur solche Organisationen und Einzelpersonen, die diese Grundauffassung teilen und das auch nach außen überzeugend kundtun,

… 2. Organisationen, die im Auftrag oder in Zusammenarbeit mit autoritären Regierungen religiösen Einfluss nehmen, Menschen hierzulande unter Druck setzen und deren Religionsfreiheit missachten, als politische Gegner zu behandeln. Mit diesen Verbänden dürfen keine Staatsverträge oder ähnliche Vereinbarungen geschlossen werden. Sie haben
keinen Platz in öffentlichen Einrichtungen. Ihre bisherige finanzielle Förderung ist zu beenden. Als Bündnispartner kommen für Bündnis 90/Die Grünen nur diejenigen in Betracht, die sich gegen Dominanzbestrebungen dieser Verbände zur Wehr setzen und so den Einfluss eines orthodoxen Islam und des politischen Islamismus eindämmen,

… 3. dafür einzutreten, die Tätigkeit von Imamen, die der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstehen, zu beenden. Diese Imame werden vom türkischen Staat finanziert und gesteuert. Sie sind darüber hinaus mit den hiesigen Lebens- verhältnissen nicht vertraut. Nach einer gewissen Übergangsfrist ist ihnen die Arbeitserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland zu versagen,

… 4. sich dafür einzusetzen, dass die bisherige Arbeit und Zusammensetzung der „Islamkonferenz“ kritisch reflektiert wird. Ihre Tätigkeit sollte nicht zu einer „Verkirchlichung“ der orthodox-konservativen Verbände führen und damit deren Einfluss stärken. Diese Verbände maßen sich eine Sprecherrolle im Namen aller Muslim*innen in Deutschland an, obwohl sie allenfalls 20 Prozent der Muslim*innen vertreten. Das hat nicht hinnehmbare Auswirkungen beispielsweise auf die Besetzung islamisch-theologischer Lehrstühle und die Gestaltung des Islamunterrichts in Schulen. Damit dominiert mit staatlicher Unterstützung eine orthodox-konservative Auslegung des Islam und verdrängt andere  innerislamische Positionen,

… 5. künftig verstärkt liberal-islamische Kräfte anzusprechen und die Zusammenarbeit mit ihnen zu suchen.

 

Bündnis 90/Die Grünen steht für eine konsequente Menschenrechtspolitik und damit in scharfem Gegensatz zur Politik des türkischen Präsidenten Erdogan und seinen Anhängern in Deutschland. Dessen Besuch in Deutschland und die Einweihung der Ditib-Moschee in Köln in Anwesenheit des Chefs der türkischen Religionsbehörde Diyanet haben diese Differenzen weiter vertieft.

Die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte von Minderheiten sind für das Selbstverständnis grüner Politik nicht verhandelbar. Unvereinbar mit diesem Verständnis von Menschenrechten wiederum ist die immer autokratischere Politik des türkischen Präsidenten Erdogan und seiner AKP-Regierung. Personen und Verbände, die im Auftrag der türkischen Regierung diese Politik unterstützen und hierzulande auch durchzusetzen versuchen, können daher keine Partner*innen sein.

Dasselbe gilt auch für schiitische Verbände, die das geistige Oberhaupt der Islamischen Republik Iran als ihre oberste religiöse und politische Instanz ansehen. Keine Partner in religiösen Fragen sind auch die religiös orthodoxen Golf- staaten, insbesondere Saudi Arabien und deren religiöse und politische Ableger hierzulande. Eine Zusammenarbeit mit wahhabitischen Organisationen, aber auch mit den Muslimbrüdern, kann für Grüne nicht in Betracht kommen.

Spätestens seit den Drohungen gegen türkisch-stämmige Abgeordnete nach der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages ist auch der breiten Öffentlichkeit klar geworden, dass diese Hetzkampagnen auch von bestimmten in Deutschland beheimateten Vereinen und Religionsverbänden betrieben werden. Zu diesen Religionsverbänden gehören u.a. Milli-Görüs und DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Ausgerechnet DITIB aber ist eine beliebte Partnerorganisation für den Bund und zahlreiche Bundesländer, insbesondere in der „Islamkonferenz“ sowie bei der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts und der entsprechenden Hochschulausbildung.

Mit Hilfe dieser Verbände nimmt die türkische Regierung direkten Einfluss auf das islamische Leben und auch auf die Politik in Deutschland. Denn von dort werden diese Verbände theologisch, ideologisch und finanziell gefördert und politisch instruiert. DITIB ist Teil der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Hunderte in der Türkei ausgebildete und von der Türkei bezahlte Imame verbreiten in den rund 900 DITIB-Moscheen in Deutschland ihre Ideologie.

In Berlin wurde 2018 ein Islam-Institut an der Humboldt-Universität gegründet. Im Beirat befindet sich mit der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden(IGS) ein Verband mit besonderer Nähe zum iranischen Regime im Beirat, der u.a. den antiisraelischen Al-Quds-Tag mit unterstützt. Der Berliner Senat und die Universität haben andererseits liberalen Islam-Verbänden und Persönlichkeiten einen Sitz im Beirat verweigert.

Das Berliner Beispiel zeigt, dass sich das Problem eines von autoritären Regierungen beeinflussten Islam in Deutschland keineswegs allein auf die Türkei beschränkt. Auch Länder wie Iran und Saudi-Arabien versuchen mit erheblichen finan- ziellen und logistischen Anstrengungen, Macht und Einfluss zu gewinnen.

Der Beschluss der BDK von Münster 2016 zur Religionsfreiheit als Menschenrecht hat die tragende Bedeutung der Religionsfreiheit als individuelle Grund- und Menschenrecht herausgestellt. Dieses Grundrecht muss immer wieder vor einer Verletzung durch staatliche Stellen, aber auch vor Missachtung durch religiöse Kollektive und ihre Machtansprüche geschützt werden. Der Beschluss ist ein wichtiger Schritt für eine neue grüne Religionspolitik.

Entwicklungen innerhalb von Religionen kann und darf der Staat aufgrund seiner Verpflichtung zur religiösen Neutralität nicht erzwingen. Er muss aber auch nicht tatenlos zusehen, wenn konservativ-orthodoxe politische Verbände mit religiösem Dominanzanspruch die liberal-islamischen Gemeinden und Verbände gezielt ausgrenzen und deren Mit- glieder bedrohen. Der Staat hat zum Schutz der Religions- und Gewissensfreiheit nicht nur das Recht, sondern vielmehr sogar die Pflicht, gerade denen beizustehen, die ansonsten in ihrer Freiheit bedroht wären. Darauf haben Grüne auf kommunaler, Landes- und Bundes- ebene hinzuwirken.

 

Oktober 2018

Verwandte Artikel