Die Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts: Großteil der Privilegien kann ohne Grundgesetzänderung reformiert werden

Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne

Erfurt, 20.10.2018

Die Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts:
Großteil der Privilegien kann ohne Grundgesetzänderung reformiert werden

I) Der Körperschaftsstatus: Ein Unikum ohne Verfallsdatum

Der Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft für Religions- und Weltanschauungs­gemeinschaften stammt noch aus der Weimarer Verfassung (WRV) von 1919. Der Artikel 137 Abs. 5 WRV war seinerzeit ein Kompromiss zwischen Sozialdemokratie und Zentrum. Wörtlich heißt es: „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts“. Sie behalten ihren Status als „geborene“ Körperschaften.

Immerhin erlaubte die neue Verfassung auch weiteren Religions- und Weltanschauungs­gemeinschaften, als sog. „gekorene“ Körperschaften, diesen Status neu zu erwerben.

Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes im Jahre 1949 konnte sich der Parlamentarische Rat nicht auf eine Neuregelung des Religionsverfassungsrechts verständigen. Er übernahm größtenteils die Regelungen von 1919 in das Bonner Grundgesetz. So blieb auch der besondere Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft für Religions- und Weltanschauungs­gemeinschaften bestehen. Er wurde im Laufe der Zeit bundesweit an über 40 derartige religiös-weltanschauliche Bekenntnisorganisationen verliehen.

Der begehrte Status unterscheidet sich grundlegend von den wortgleich betitelten Teilen der Staatsverwaltung. So werden beispielsweise die großen Kirchen nicht durch die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder kontrolliert. Sie unterliegen auch keiner besonderen Staatsaufsicht (BVerfGE 18, 386 f.; 30, 428; vgl. ferner BVerfGE 139, 321, 350; 2. K. v. 9.12.2008 – 2 BvR 717/08).

Lediglich im Verfahren der Anerkennung des Körperschaftsstatus findet eine gewisse formale Prüfung durch die zuständigen Behörden der Länder statt, ob die Kriterien für eine Anerkennung erfüllt sind. Verlangt werden eine gewisse Bestandsfestigkeit, Größe und Verbreitung sowie eine – rudimentäre – Verfassungstreue. Politische Religions- vereine in ausländischem Auftrag können diesen Status von daher nicht erlangen.

Versuche von Seiten der zuständigen Bundesländer, die Verleihung strenger zu hand- haben und beispielsweise an Kriterien wie Mindestzahl von Mitgliedern, organisatorische Verfestigung und Rechtstreue zu knüpfen, sind an der Rechtsprechung des Bundes­verfassungs­gerichts gescheitert. So musste dem Antrag der Wachturmgesellschaft („Zeugen Jehovas“) auf Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft letztlich stattgegeben werden. Die vorgebrachten Gründe für eine Verweigerung der Anerkennung, so z.B. die Ablehnung einer Beteiligung an staatlichen Wahlen oder das Beharren auf einem religiös legitimierten elterliches Züchtigungsrecht, wurden vom höchsten deutschen Gericht ebenfalls nicht akzeptiert. In seinem Urteil über die Religionsgemeinschaft der Bahai wurden zuletzt auch die Anforderungen an die Größe der heruntergeschraubt.

Es hat sich im Laufe der Zeit gezeigt, dass es vielen Gemeinschaften auch um die Anerkennung durch staatliche Stellen ging, die mit dem Sonderstatus einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft verbunden ist. Das Erreichen einer rechtlichen Augenhöhe mit den Großkirchen spielt vielfach eine größere Rolle als der verbesserte Zugang zu bestimmten Privilegien.

II) Die Legende vom Verfassungsrang lieb gewordener Privilegien

Leider herrscht in der politischen Debatte noch immer die Auffassung vor, der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus sei eine vom Grundgesetz in Erz gegossene Lebens­versicherung sämtlicher Privilegien, die insbesondere den großen Kirchen seit eh und je großzügig eingeräumt wurden. Diese – einer wirkungsvollen Lobbyarbeit entsprungene – Position hält einer genauen verfassungsrechtlichen Betrachtung indes nicht stand. Bereits der Blick in das Grundgesetz erleichtert die Klärung, welche Privilegien grundgesetzlich geschützt sind. Verfassungsrechtlich garantiert sind dort nur die Rechte, die im Verfassungstext selbst ausdrücklich festgeschrieben sind. Das Grundgesetz knüpft nur an einer Stelle das Sonderrecht der Religions- und Weltanschauungs-Gemeinschaften (Artikel 137 Abs. GG) an deren Körperschaftsstatus: Der Artikel 137 Abs.6 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG erlaubt nur den inkorporierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sich beim Einzug der Mitgliedsbeiträge („Kirchensteuer“) staatliche zu liefernder Daten ihrer steuerpflichtigen Mitglieder zu bedienen. Der Staat muss zwar entgegen einer landläufigen Auffassung diese Steuer nicht selbst ein- ziehen, wohl aber die Daten zuliefern. Diese Grundgesetzregelung kann nicht durch „ein- fache“ Bundes- oder Landesgesetze aufgehoben werden. Dafür wäre eine Grundgesetzänderung nötig, die einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf.

Die in den weiteren Grundgesetzbestimmungen genannten Rechte der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wiederum hängen nicht vom Körperschaftsstatus ab. Sie gelten für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichermaßen, so beispiels­weise beim Recht auf „Anstaltsseelsorge“ Gleiches gilt auch für den besonderen Vermögens­schutz und das Recht auf Selbstverwaltung. Auch diese Rechte stehen allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unabhängig von ihrem Körperschaftsstatus „verfassungsfest“ zu.

III) Privilegienbündel verfassungsfest: ein Irrtum!

Anders als bei den genannten Verfassungsbestimmungen ist die Rechtslage bei denjenigen Privilegien, die für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in zahllosen Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben sind.

Diese Sonderregelungen finden sich in den Sozialgesetzen ebenso wie im Schulrecht und dem gesamten Steuer- und Abgabenrecht sowie in zahllosen weiteren Bestimmungen. Sie stehen den inkorporierten Religionsgemeinschaften nur deshalb zu, weil sie ihnen durch den Gesetzgeber einfachgesetzlich zugewiesen wurden; sie stehen grundsätzlich zur freien Disposition des Gesetzgebers. Diese Rechte auf Berücksichtigung, Beteiligung und Befreiung werden allgemein als »Privilegienbündel« bezeichnet.

Im Steuerrecht genießen inkorporierte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine besonders lukrative Vorzugsbehandlung. So sind sie von der Zahlung der Schenkungs- und Erbschaftssteuer befreit. Weitere Vorrechte finden sich beispielsweise in § 54 Abs. 1 Abgabenordnung, § 13 Abs. 1 Nr. 16 Erbschaftsteuergesetz § 3 Abs. 1 Nr. 4 Grundsteuergesetz, § 4a Abs. 1 Umsatzsteuergesetz. Das Haushaltsgrundsätzegesetz meint es in § 55 ebenfalls gut mit den Körperschaften. Die Bestimmung stellt Zuschüsse frei von der Kontrolle durch die Rechnungshöfe.

Bei Rechtsstreitigkeiten zahlen inkorporierte Gemeinschaften auch keine Gerichtsgebühren.

Weitere Beispiele finden sich in zahlreichen Rechtsgebieten, die hier nur summarisch aufgezählt werden können:

→ Im Grundstücksverkehrsgesetz (§ 4 Nr. 2) werden die öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von einer sonst erforderlichen Genehmigung bei der Veräußerung bestimmter Grundstücke freigestellt.

→ Im Strafrecht wird in § 132a Abs. 3 StGB die „Amtsbezeichnungen, Titel, Würden“, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts besonders geschützt, indem ihre missbräuchliche Verwendung wie bei Amtsträger*innen unter Strafe gestellt wird.

→ Das Bundesmeldegesetz erlaubt inkorporierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, auf die Daten aus den Meldeämtern zurückgreifen (§ 42).

→ Die Zivilprozessordnung gewährt öffentlich-rechtlichen Körperschaften einschließlich der inkorporierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einen besonderen Vollstreckungsschutz (§ 882 a), da Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht insolvenzfähig sind.

→ Rücksicht auf Belange inkorporierter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nehmen auch das Baugesetzbuch in § 1 Abs. 6 Nr. 6 sowie das Denkmalschutzrecht.

→ Für die Praxis bedeutsam ist § 9 Abs. 2 Nr. 8 Gesetz über die Verbreitung Jugend gefährdender Schriften und Medieninhalte.

Die genannten einfachgesetzlichen Bestimmungen knüpfen zwar jeweils an den Körperschaftsstatus an. Das ist aber eine „freiwillige“ Entscheidung des Gesetzgebers und nicht die Umsetzung einer Verpflichtung, die sich aus dem Grundgesetz ergibt. Die Körperschaften erhalten – außer (wie erwähnt) bei der „Kirchensteuer“ – ihre Rechte nicht deshalb, weil sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, sondern weil ihnen der Staat bestimmte Reche durch Gesetz einzeln übertragen hat.

Nicht sämtliche Regelungen setzen beim Körperschaftsstatus an: Die Vertretung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den Rundfunkräten hängt beispielsweise nicht von ihrem Status als öffentlich-rechtliche Körperschaft ab, sondern von der Anzahl der Mitglieder. Wäre der Körperschaftsstatus maßgeblich, müssten sämtliche der rund 40 anerkannten Gemeinschaften zumindest mit einem Grundmandat vertreten sein. Das aber stellt niemand zur Debatte.

Die Gewährung oder der Entzug dieser einzelnen Rechte steht im Ermessen des Gesetzgebers im Bund und den Ländern. Freie Entscheidungen der Parlamente können jederzeit mit einfacher Stimmenmehrheit wieder rückgängig gemacht werden. Für eine Änderung der einschlägigen Gesetze des Bundes und der Länder genügen einfache Mehrheiten; Zweidrittelmehrheiten wie bei einer Änderungen des Grundgesetzes sind nicht erforderlich.

Damit sind in weiten Bereichen politische Entscheidungen auf der Ebene unterhalb der Grundgesetzänderung möglich.

IV) Nach 100 Jahren: Neubewertung der Verfassungsbestimmungen überfällig

Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seit Schaffung des seit fast 100 Jahren unveränderten „Staatskirchenrechts“ in der Weimarer Verfassung und dessen Fortschreibung im Grundgesetz grundlegend verändert. Waren 1919 noch über 95 Prozent der Bürger*innen Angehörige der beiden christlichen Großkirchen, sind es heute vielerorts nur noch wenig mehr als 50 Prozent. In wenigen Jahren sind die Mitglieder der Römisch-Katholischen und der Evangelischen Kirche in der Minderheit!

Das auf die beiden Großkirchen zugeschnittene „Staatskirchenrecht“ widerspricht infolge dessen ebenso wie die ständige finanzielle Begünstigung der Kirchen dem Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat.

Die bis heute mitgeschleppten Regelungen der Weimarer Verfassung sind daher längst anachronistisch geworden. Das gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus, der im Rahmen einer Gesamtreform gestrichen werden sollte.

Die notwendige Reform der entsprechenden Regelungen des Grundgesetzes einschließlich der Streichung des Körperschaftsstatus sind jedoch – wie ausgeführt – keine notwendige Voraussetzung für längst überfällige Reform des Verhältnisses von Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Hinsichtlich der Umsetzung einer Reformperspektive hat der Beschluss des Grünen Parteitags in Münster 2016 Maßstäbe gesetzt, die bestehenden erheblichen Reformspielräume endlich konsequent zu nutzen.

V) Rechtspolitische Forderungen der BAG Säkulare Grüne

Die BAG Säkulare Grüne fordert die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen auf, mit der konsequenten Umsetzung der Beschlüsse von Münster zu beginnen.

Konkrete Maßnahmen:

1. Es wird eine umfassende Bestandsaufnahme der bestehenden gesetzlichen Sonderregelungen für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vorgenommen.

2. Im Rahmen von Fachanhörungen und auf der Grundlage parlamentarische Anfragen erfolgt eine umfassende Zusammenstellung der zahlreichen finanziellen Transfers von Bundesmitteln an die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

3. Es erfolgt eine Prüfung der einfach-gesetzlichen Handlungsspielräume, auf deren Grundlage die Fraktion im Zusammenwirken mit der Partei ein Konzept für die anstehenden Reformschritte entwickelt.

4. Die Fraktion bringt im Deutschen Bundestag Gesetzentwürfe oder Gesetzesanträge mit dem Ziel ein, das Verhältnis zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften grundlegend neu zu regeln und den Grundsatz der staatlichen Neutralität konsequent zu verwirklichen.

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