Die Kirchensteuer in Gesellschaft und Staat in der Bundesrepublik – sie lenkt. Beitrag von Diana Siebert

Diana Siebert

Die Kirchensteuer in Gesellschaft und Staat in der Bundesrepublik – sie lenkt.

Zusammenfassung: Es geht um einen wenig beachteten Aspekt der Kirchensteuer: Weil die Einnahmen der Religionsgemeinschaften aus der Kirchensteuer direkt proportional an die Einkommensteuereinnahmen des Staates gekoppelt sind, haben die betreffenden Religionsgemeinschaften ein gewaltiges Interesse an hohen Einkommensteuereinnahmen des Staates – und damit an einer effektiven, möglichst korruptionsfreien Erhebung durch die Finanzbehörden. Mögliche Effekte werden andiskutiert.

Text:
Die Kirchensteuer in der Bundesrepublik ist ein System, das die finanziellen Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Religionsgemeinschaften auf eine Weise regelt, die von ihrem Prinzip und ihrem Umfang her in Europa ziemlich einmalig ist. 11 Milliarden Euro (Link zu FAZ) zieht der Staat als „Inkassounternehmen“ von den Einkommensteuerzahler*innen jährlich ein und leitet es — gegen Erstattung des Arbeitsaufwands der Finanzämter durch die Kirchen — an die betreffenden Religionsgemeinschaften weiter. Da die Zahlungen an die Religionsgemeinschaften unbegrenzt einkommensteuer-abzugsfähig sind, erzielt die öffentliche Hand jährlich 3,7 Milliarden Euro weniger Einnahmen als wenn diese Abzugsfähigkeit nicht existieren würde {Subventionsbericht der Bundesregierung, S.87}.

Das bundesdeutsche Kirchensteuersystem ist, was seine Säkularität betrifft, etwa in der Mitte anzusiedeln zwischen Staaten mit Staatskirche (oder doch rein staatsfinanzierten Religionsgemeinschaften) einerseits und andererseits Staaten, die Religionsgemeinschaften jedenfalls dann überhaupt nicht finanzieren, wenn es „nur“ um den großen eigentlichen oder „Kern“-Bereich der Religionsgemeinschaften geht (Gottesdienste, Gebäude für die religiösen Aktivitäten, religiöse Unterweisung). Zu den Ersteren gehören Russland, Griechenland und verschiedene Staatskirchen, zu den letzteren das laizistische Frankreich wie der sich auf Gott berufende USA-Staat (Link zu  Wikipedia) .

Das bundesdeutsche System bewirkt, dass ein Teil der geldkostenden Aktivitäten der anerkannten Religionsgemeinschaften von den Mitgliedern selbst bezahlt/getragen wird (hauptsächlich Kirchensteuern, aber auch Spenden, Kapitalanlagen und andere Finanzgeschäfte), ein anderer Teil vom Staat und so von der Allgemeinheit der Steuerzahler*innen, sei es durch
A/ direkte Erhebung bei den Steuerzahler*innen (Kirchensteuer von ALLEN 450-Euro Jobler*innen),
B/ Subventionen an die Kirchensteuerzahler*innen – die erwähnte Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer bei der Einkommensteuer
(Nur am Rande bemerkt: das bundesdeutsche Grundgesetz verpflichtet die Bundesländer hier zu Ausgaben, das Konnexitätsprinzip ist gesetzlich ausgehebelt, weil Bundesrecht eben Landesrecht bricht.)
oder
C/ die Finanzierung von rein religiösen Aktivitäten durch den Bundes- oder die Landeshaushalte (am Teuersten: bekenntnisförmiger Religionsunterricht, Ausbildung von Theologen auf Staatskosten, aber auch, hier am Deutlichsten und Auffälligsten, die „Staatsleistungen“).

Carsten Frerk systematisiert die verschiedenen Ausgaben und Mindereinnahmen anhand der einzelnen Ausgaben und Subventionsgegenstände. Er hat detailliert auch kleinere Subventionstatbestände aufgezeigt (Baulasten) oder zumindest die Frage aufgeworfen („katholische öffentliche Bücherei“). Das ist eine enorme Leistung schon alleine deshalb, weil die Transparenz der Finanzen der Religionsgemeinschaften immer noch  zu wünschen übrig lassen. Weniger interessieren ihn die allgemeinen gesellschaftlichen (und staatlichen) Implikationen des Systems Kirchensteuer.

Zunächst ist festzuhalten, und da bin ich nicht die erste, die das bemerkt, dass die Mitglieder der Religionsgemeinschaften durch die Zahlung der Kirchensteuern den Eindruck gewinnen, dass sie, ähnlich wie in Frankreich und den USA, den größten Teil der Ausgaben selbst bezahlen. Bedenkt man aber alleine die jährlich milliardenschweren Posten (bekenntnisförmiger Religionsunterricht, Abzugsfähigkeit) und die halbe Milliarde an Staatsleistungen, so sollte die Gesellschaft den Mitgliedern der Religionsgemeinschaften doch deutlich machen, dass die Allgemeinheit etwa zur Hälfte mitfinanziert.

Auch haben schon viele auf den Aspekt hingewiesen, dass der Staat, der für die (fast ausschließlich monotheistischen) Religionsgemeinschaften die „Steuer“ einzieht, diesen einen öffentlichen Glanz verleiht, den sie allein aufgrund des etwas abstrakt daherkommenden juristischen Merkmals noch nicht haben, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu bilden.

Was aber gerade in den atheistischen und laizistischen Verbänden, aber auch allgemein gesellschaftlich untergeht, ist der ideelle wie materielle Vorteil (nicht der Kirche, sondern:) des Staates durch das System Kirchensteuer.

Ideell

Ich glaube (nämlich) nicht, dass die Mehrheit der Kirchensteuerzahler*innen denkt: „Was mischt sich denn der Staat in die Beziehung der Religionsgemeinschaften (und letztlich Gott) zu mir ein?“ Diejenigen christlichen Menschen, die so denken, reflektieren diese Verhältnisse sehr bewusst und haben den Hang, sich Freikirchen anzuschließen. Vielmehr umgibt den Staat auch aufgrund des Kirchensteuereinzugs eine gewisse Aura. Er hilft aus der Sicht der gläubigen Kirchensteuerzahler (es gibt auch nichtgläubige, aber um die geht es nicht), etwas Gutes zu tun. Dass sich die Finanzämter den Arbeitsaufwand von den Religionsgemeinschaften bezahlen lassen, ist entweder unbekannt oder, wenn bekannt, stört diese Tatsache eher bei besagter Aurabildung.

Materiell

Was bisher so gut wie gar nicht in die Diskussion um die Kirchensteuer einfließt, ist Folgendes: Dadurch, dass die Einnahmen der Religionsgemeinschaften aus der Kirchensteuer direkt proportional an die Einkommensteuereinnahmen des Staates gekoppelt sind (in Zahlen: 8% oder 9% je nach Bundesland), haben die betreffenden Religionsgemeinschaften ein gewaltiges Interesse an hohen Einkommensteuereinnahmen des Staates.

Dies ist ein bedeutender Unterschied sowohl zu dem Staatskirchensystem in anderen Staaten wie Griechenland und Russland, als auch zu Ländern wie Frankreich und USA. Das bundesdeutsche System staatlich eingezogener Kirchensteuern (ich meine also nicht das Bayern-Verfahren) liegt in diesem Punkt also nicht „in der Mitte“ zwischen Griechenland/Russland und USA/Frankreich, sondern konträr zu allen anderen staatskirchlichen wie laizistischen Systemen.

Bei einem beträchtlichen Teil staatlicher Steuererhebung, nämlich der der Erhebung der Einkommensteuer, haben die Religionsgemeinschaften also das materielle Interesse, dass der Staat, genauer: die Finanzbehörden, noch genauer: die Beschäftigten in den Finanzbehörden, sich nicht korrumpieren lassen.

Während in Griechenland und Russland die jeweiligen Staatskirchen zwar vielleicht noch ein allgemeines Interesse an hohen Staatseinnahmen haben, damit der Staat sie gut und dauerhaft finanzieren kann, interessiert sie hingegen kaum, wie der Staat sich seine Einnahmen beschafft. In Frankreich und den USA wiederum stehen die Einnahmen durch die Religionsgemeinschaften in direkter Konkurrenz zu den staatlichen Einnahmen durch Einkommens-, aber auch Verbrauchssteuern; tendenziell können die Religionsgemeinschaften desto mehr Beiträge und Spenden erwarten, je niedriger die staatliche Steuerbelastung der Mitglieder (Beitragszahler*innen) ist. Die Religionsgemeinschaften können dort offen dafür plädieren, einem teilweise sogar als feindlich (unchristlich, „nur weltlich“, Rüstungsproduktion ankurbelnd, …) agierenden Staat nur das gesetzlich nötige, der Religionsgemeinschaft hingegen viel zu geben.

Nicht so in der Bundesrepublik.

Diese — oft unerkannte — materielle Interessengemeinschaft zwischen KöR-Religionsgemeinschaften und Staat (und zwar Bund UND Länder, Link zu WIkipedia) hat weitreichende Auswirkungen, die erst durch den Vergleich mit anderen Staaten richtig deutlich wird. Ich reiße das heute nur an.

Zwei diskussionswürdige Beispiele:
Mindestlöhne

In den beiden großen Kirchen gibt es einen beträchtlichen Anteil an Laiinnen und Laien wie auch des Klerus, die für eine gerechte Einkommensverteilung eintreten. Das Kirchensteuersystem stützt diese geistige Haltung. Die Einführung von Mindestlöhnen ist nicht an den Kirchen gescheitert, obwohl diese ein großes Interesse daran haben, dass Menschen in traditionell schlecht bezahlten Careberufen keine Lohnuntergrenze haben oder sogar für „Gotteslohn“ arbeiten; dass Caretätigkeit (nicht nur) von den Kirchen als ehrenamtlich und daher nicht mit dem Mindestlohn bewehrt angesehen wird, sollten wir dabei nicht aus den Augen verlieren.
Auch gegen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes haben die Religionsgemeinschaften nichts einzuwenden.

Krieg und Frieden

Zweites Beispiel: in den beiden großen Kirchen, insbesondere in der „internationalistische“ katholische Kirche, haben große Teile der Laien und Laiinnen wie auch des Klerus formuliert, dass sie gegen expansive kriegerische Aktivitäten des Staates sind. Das Kirchensteuersystem stützt diese geistige Haltung, weil durch dieses eine starke einkommensteuerzahlende Schicht von Mitgliedern eine beträchtliche Grundlage für die Einnahmen der Religionsgemeinschaften sind.

Ich will das zunächst gar nicht bewerten, sondern analysieren. Man sollte sich dessen gewahr sein, dass es hierbei einen Zusammenhang in Deutschland gibt, den es in anderen Ländern eben nicht gibt.
Es ist auch überhaupt nicht ausgemacht, wie die Kirchen bei bestimmten Kriegen und anderen militärischen Auseinandersetzungen reagieren; zumal die BRD weiterhin staatlich finanzierte Militärseelsorge mit je einem Militärbischof (Link zu Wikipedia)  an der Spitze, Soldatengottesdienste und dergleichen kennt, und weil die Einnahmen durch die Kirchensteuer ja den kirchlichen Institutionen und nicht den Mitgliedern zufließen.

Fairteilungsbewegungen und Bündnis 90/Die Grünen

Zumindest als These formuliere ich: Es sind diese den Akteuren oft gar nicht bewussten Zusammenhänge, die viele linke und grüne Aktivisten für mehr Umverteilung und für Gerechtigkeit gerade auch bei der Steuer-ERHEBUNG einen Schulterschluss mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften suchen und finden lassen. Wenn es um Steuer- und Einkommensgerechtigkeit geht, werden „die Gewerkschaften und die Kirchen“ als Bündnispartner*innen stets angesprochen.

Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften selbst wie auch die atheistischen Verbände sehen (freilich unter gegensätzlichem Vorzeichen) die Kooperation zwischen Staat und Kirche als eine gewollte, ideell wie materiell gute (bzw. schlechte, zu bekämpfende) Verquickung, die deshalb gut (bzw. schlecht) ist, weil sie den Religionsgemeinschaften ein Bündel an Privilegien gibt. Die speziell durch das elaborierte Kirchensteuersystem in Deutschland (aber anderswo nicht!) entstehende Triebkraft wird nicht gesehen, oder fälschlicherweise auf die „Amtshilfe“ der Finanzbehörden für die Kirchen reduziert.

Bündnis 90/Die Grünen loben das kooperative „Modell“ zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, wollen es an einigen Stellen auch im finanziellen Bereich reformieren (Kirchensteuer bei 450-Euro-Jobs, Abschaffung von Kirchenaustrittsgebühren, Besteuerung bei glaubensverschiedenen Ehen). Vielleicht ist gerade dieser materielle Bereich unbewusst oder bewusst dasjenige, was säkulare Bewegungen und Parteien an dem „deutschen Modell“ gut finden.

Ich habe mich darüber hinaus auch immer gefragt, was das Modellartige an den Zuständen in der Bundesrepublik überhaupt sein soll. Jetzt weiß ich es: es ist die Kirchensteuer. Die Kirchensteuer verdient zwar den Namen nicht, weil sie keine staatliche Steuer nach dem Prinzip „EIN Recht für alle“ ist. Aber sie verdient den Namen „Steuer“ insofern, als sie eine bedeutende, ungeahnte Lenkungswirkung entfaltet: durch sie haben die KöR-Religionsgemeinschaften ein Interesse an einem starken Staat mit effektiven die Einkommensteuer erhebenden Strukturen. Das ist nicht nichts!

8.2.2017

 

Verwandte Artikel