Die Praxis der Ächtung der Zeugen Jehovas schränkt die Religionsfreiheit ein

Bei den Zeugen jehovas werden abtrünnige Mitglieder geächtet. Ihre Verwandten und Freunde, die weiter bei den Zeugen Jehovas bleiben, sollen /müssen/ jeglichen Kontakt zu ihnen abbrechen.

Die Aussteigerorganisation JW Help e.V. bezeichnet diese Praxis der Ächtung als Mobbing, das zumindest im Ansatz menschenrechtsverletzend sei. Den Mitgliedern der Zeugen Jehovas werde dadurch implizit ihr Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit verwehrt.

Bekanntlich handelt es sich bei dieser Problematik der seelischen Indoktrination und Nötigung im religiösen Kontext um einen blinden Fleck, den die Politik bishernicht angeht. Sicher ist es deutlich schwieriger, die seelische Gewalt zu fassen, als körperliche und sexuelle Gewalt – dies rechtfertigt aber nicht, wegzusehen.

JW Help e.V. hat sich Anfang Dezember mit einem Offenen Brief an den Bundestagsabgeordneten Markus Grübel, Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, gewandt.

Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Offenen Brief im Wortlaut:

3. Dezember 2020

Sehr geehrter Herr Grübel,

mit großem Interesse haben wir vom Verein JZ Help e.V. die Vorstellung Ihres Berichtes im Bundestag zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit verfolgt.

Wenn die Religionsfreiheit in einem Land verletzt wird, so haben Sie dargelegt, müssen wir aktiv werden:

«Wir müssen hinschauen, wir müssen laut aufschreien, wenn die Religionsfreiheit verletzt wird, wir müssen Bündnisse schließen und wir müssen handeln.»

Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, wie wichtig es ist, dass Menschen ihre Religion wechseln oder verlassen können:

«Das Recht auf Konversion ist quasi der Kern der Religionsfreiheit, nämlich die Chance, meine Religion aufzugeben oder zu wechseln.»

Genau das ist getauften Zeugen Jehovas nicht möglich. Dies haben Giulia Silberberger und ich im März 2019 in einem Gespräch mit Ihnen erläutert: Getaufte Mitglieder der Religionsgemeinschaft haben nicht die Möglichkeit, die Religion zu verlassen, ohne Gefahr zu laufen, auch von den allernächsten Familienmitgliedern und engsten Freunden geächtet zu werden. Die Praxis der Ächtung unterläuft damit das Recht von (Ex-)Zeugen Jehovas auf Religionsfreiheit. Dies wurde 2019 auch von einem Schweizer Gericht so beurteilt (s. Gerichtsurteil und Zusammenfassung des Urteils), das Urteil ist rechtskräftig:

«Grundsätzlich gibt es also diese Praxis der Ächtung […].» (S. 23). […] «Die Praxis der Ächtung erweist sich deshalb als eine Art von „Mobbing“, das zumindest im Ansatz menschenrechtsverletzend ist, als dass Mobbing eine Verletzung der persönlichen Integrität eines Menschen ist. Diese Art von Mobbing wird auch angewendet, wenn Mitglieder der Zeugen Jehovas nicht mehr glauben oder einen anderen Glauben entwickeln bzw. haben. […] Implizit wird ihnen also die Glaubens- und Gewissensfreiheit innerhalb der Gemeinschaft verwehrt (vgl. act. 12/12/34 und 12/12/2).» (S. 24)

Praktiken, die gegen das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit verstoßen, müssen nicht nur im Ausland angeprangert, sondern auch im eigenen Land verboten werden. Als Beauftragten für Religionsfreiheit bitten wir Sie, hinzuschauen und zu handeln.

Mit freundlichen Grüßen

Regina Spiess
Stellvertretende Vorstandsvorsitzende von JZ Help e.V.Sichtbarkeit

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