Fortschritt wagen: Überwindung der Kirchensteuer! BAG-Beschluss vom 11.12.2021

Die Ampelkoalition hat ihre politischen Vorhaben für diese Legislaturperiode unter das Motto gestellt: „Fortschritt wagen„. Das Verhältnis von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und säkularem Staat ist hiervon nicht ausgenommen. Einige Punkte dazu sind im Koalitionsvertrag ausdrücklich geregelt; viele Punkte konnten jedoch schon wegen Platzmangels nicht mehr untergebracht werden.

Es gilt in der Koalition das Motto: Was nicht ausdrücklich im Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden ist, ist erlaubt. Das gegenwärtige „Religionsverfassungsrecht“ soll „weiterentwickelt werden. Und das ist freilich ein weites Feld; Reformstau überall.

Kirchensteuer ´überwinden“ stand allerdings in keinem der Wahlprogramme der drei Ampelparteien. Ob dieses Thema, das mit Sicherheit ein sehr umstrittenes sein wird, von der Koalition im Bundestag verhandelt werden wird, ist nicht vorhersagbar, aber realistischerweise nicht sehr wahrscheinlich.

Das ändert aber nichts daran, dass auch die „Überwindung der Kirchensteuer“ in die kritische Diskussion einer umfassenden Reform des „Religionsverfassungsrechts“ gehört.

Hierzu hat die BAG Säkulare Grüne jetzt ein Papier vorgelegt, das die Diskussion anstoßen soll.

Es ist im Folgenden in vollem Wortlaut veröffentlicht:

BAG Säkulare Grüne

Beschluss der Delegiertenversammlung 11.12.2021

„Überwindung der Kirchensteuer“

  1. Kirchenfinanzen auf den Prüfstand der öffentlichen Debatte

Das Recht körperschaftlich organisierter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, ihre Mitgliedsbeiträge als staatliche Steuer von den Finanzämtern einziehen zu lassen, gehört auf den Prüfstand. Zur öffentlichen Auseinandersetzung über die Finanzierung der Kirchen gehört der Dialog mit den jeweiligen Gemeinschaften und ihren Mitgliedern ebenso wie mit Konfessions- und Religionsfreien. Mit ihrem Bevölkerungsanteil von 41 Prozent haben Konfessions- und Religionsfreie einen gleichwertigen Anspruch auf Gehör.

Wir leben in einer Zeit wachsender religiöser und weltanschaulicher Vielfalt. Zugleich wächst Jahr für Jahr bezogen auf die Gesamtbevölkerung der Anteil konfessions- und religionsfreier Menschen. Die frühere „Einheit von Bürger und Christ“ ist schon längst Geschichte, sofern sie nicht schon in der Vergangenheit eine Fiktion gewesen war. Die rechtlichen Vorschriften über das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften stammen noch aus einer Zeit wechselseitiger Durchdringung oder auch der sogenannten Koordination von Staat und Kirchen. Der Einzug von Mitgliedsbeiträgen mit fiskalischen Zwangsmitteln entspringt dieser überkommenen und überlebten Sichtweise.

Im Zuge einer Reform müssen eine Reihe von Bundes- und Landesgesetzen angepasst werden, ebenso zahlreiche vertragliche Vereinbarungen mit den Kirchen. Die meisten Aspekte der Reform wie die Regelung eines Datentransfers hängen von der

konkreten Umsetzung der Reform des Kirchensteuereinzugs ab. Das Grundgesetz gibt hier deutlich weniger vor, als gemeinhin angenommen.

Der Staat hat bei diesen Klärungsprozessen seine Neutralitätspflicht zu beachten. Es ist eine Aufgabe der Kirchen selbst, ihre Kirchensteuerzahler*innen davon zu überzeugen, in eigener Verantwortung die für den Einzug ihrer Mitgliedsbeiträge erforderlichen Informationen direkt an die Kirchenverwaltungen zu übermitteln. Wie ein solches Verfahren genau aussehen soll, muss innerhalb der Kirchen geklärt werden. Bewahrung oder Herstellung dieser Vertrauensgrundlage liegen aufgrund der verfassungsmäßigen Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen nicht in staatlicher Verantwortung.

Die Veränderungen bei der staatlichen Kirchenfinanzierung lassen sich nicht über Nacht umsetzen. Durch angemessene Übergangsfristen sollen die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein eigenes Verwaltungssystem aufbauen können, was im Zeitalter der Digitalisierung in einem überschaubaren Zeitrahmen und mit vertretbarem Aufwand zu leisten ist.

II. Zehn gute Gründe für ein Ende der Kirchensteuer:

  1. Kirchensteuer verletzt die staatliche Neutralitätspflicht

Mit dem Einzug der Kirchensteuer durchbricht der Staat das Prinzip seiner Neutralität in Fragen der Religionsausübung der Bürger*innen in Zeiten wachsender religiöser Vielfalt. Die herrschende Theorie und Praxis begünstigt anerkannte Körperschaften des öffentlichen Rechts. Eine solche Differenzierung ist vor dem Hintergrund der Neutralitätsverpflichtung in Religionsangelegenheiten in der Sache angreifbar; sie war schon früher rechtlich umstritten.

Der Kirchensteuereinzug durch den Staat diskriminiert aber nicht allein kleinere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Benachteiligt werden auch NGO’s und gemeinnützige Organisationen, denen die Hilfe der Finanzämter nicht gewährt wird, auch wenn sie dies wünschen. Ein überzeugender sachlicher Grund für eine derart hervorgehobene Sonderstellung einzelner Religionsgemeinschaften ist nicht erkennbar.Warum dürfen nicht auch das Rote Kreuz und andere nicht-religiöse Vereinigungen auf die direkte Hilfe der Finanzbehörden beim Eintreiben der Mitgliedsbeiträgezurückgreifen? Der Staat räumt weder gemeinnützigen Vereinen, Parteien oder Gewerkschaften das Recht ein, ihre Mitgliedsbeiträge über das Finanzamt einzuziehen.

Überkommene Sonderrechte, die mittlerweile ca. die Hälfte der Bevölkerung ausgrenzen, gehören nicht länger zum modernen Verfassungsstaat. Denjenigen, die den begünstigten Gemeinschaften nicht angehören, wird signalisiert, dass sie von einer – religiös definierten – allgemeinen gesellschaftlichen Norm abweichen und ihnen „etwas fehlt“. Der Staat darf aber die christlichen Kirchen nicht länger auf eine sittlich und rechtlich höhere Stufe heben als alle anderen Gemeinschaften und ihre Mitglieder, ob religiös oder nicht.

2. Einsatz fiskalischer Zwangsmittel nicht akzeptabel

Die Kirchensteuer wird von den Finanzämtern der Länder eingezogen. Auferlegt wird sie den Zahlungspflichtigen ohne Rücksicht auf deren möglicherweise entgegen- stehenden Willen nur aufgrund ihrer formalen Mitgliedschaft in der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Ohne Einschaltung eines Gerichts kann das Finanzamt als Gläubiger bereits aus einem bestandskräftigen Steuerbescheid vollstrecken. So kann die Zwangsvollstreckung deutlich schneller eingeleitet werden.

Anders ist die Rechtslage bei privaten Gläubigern wie Vereinen und Verbänden. Diese müssen sich erst um einen Vollstreckungstitel bemühen. Das Verfahren berücksichtigt die Belange der Schuldner*innen deutlich besser und dauert entsprechend länger. Mitgliedsbeiträge bürgerlicher Vereine, Gewerkschaften oder Parteien haben einen völlig anderen Charakter. Zahlt ein Mitglied – aus welchen Gründen auch immer – den Beitrag nicht, sind Vereine, Parteien und andere Vereinigungen auf den zivilrechtlichen Klageweg verwiesen.

Ungeachtet aller Einzelheiten und abweichender Regelungen: Wer die Kirchensteuer nicht zahlt oder in Rückstand gerät, riskiert nach der Abgabenordnung Säumniszuschläge, Zwangsgelder, Geldstrafen und sogar Freiheitsstrafen. Wer nicht zahlt, ohne formell aus der Kirche ausgetreten zu sein, muss nachzahlen und hat die volle Gewalt der staatlichen Abgabenordnung gegen sich. So haben beispielsweise Einsprüche gegen einen Steuerbescheid keine aufschiebende Wirkung für die Zahlungspflicht.

Die Zwangsmaßnahmen können auch in Kombination miteinander verhängt werden und machen den Sondercharakter der staatlich eingetriebenen Kirchensteuer deutlich. „Steuerschulden“ bei den Kirchen haben im Fall einer Pfändung oder einer Insolvenz prinzipiell sogar einen höheren Rang als beispielsweise Unterhaltsverpflichtungen.

Unabhängig von der Berechtigung einer staatlichen Unterstützung beim Kirchensteuereinzug ist der Einsatz fiskalischer Zwangsmittel in jedem Fall nicht angemessen. Die Kirchen sollten „Steuerschulden“ stets in eigener Verantwortung nach den Regeln des bürgerlichen Rechts eintreiben.

3. Vier Milliarden Steuersubventionen

Die Kirchensteuer reproduziert die Ungerechtigkeiten des Systems der Einkommenssteuer, das Spitzenverdienern weiträumige „Gestaltungsmöglichkeiten“ eröffnet. Das gilt sowohl für die Verrechnung der Kirchensteuer mit der Einkommenssteuer wie auch für die „Kirchensteuer-Kappung“ für Bezieher*innen hoher Einkommen. Normalerweise wird die Kirchensteuer aus einem bestimmten Prozentsatz der festgesetzten Einkommenssteuer (je nach Bundesland 8 bis 9 Prozent) ermittelt. Um zu verhindern, dass Vermögende die Kirchen verlassen, wird der Steuersatz – nach Antragstellung an die Kirchen – gedeckelt und steigt nicht mit der Steuerprogression. Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen zahlen so den vollen Satz, während für Wohlhabende erhebliche Sonderregelungen gelten.

Gutverdienende Steuerpflichtete werden vom Staat zudem auch noch mit der vollen Absetzbarkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe belohnt. So erleiden Bund und

Länder Einnahmeverluste allein im Jahre 2020 nach dem Subventionsbericht der Bundesregierung in Höhe von rund 4,2 Mrd. Euro: Das ist ein historischer Spitzenwert. Diese Mittel werden auch von denen aufgebracht, die selbst keiner Kirche angehören.

4. Der Sozialstaat braucht keine Kirchensteuer

In der öffentlichen Diskussion wird die Kirchensteuer vielfach damit begründet, ohne sie gerate der Sozialstaat in Gefahr und vielen Menschen in Not werde nicht mehr geholfen.

Die Leistungen der Kirchen und ihrer Mitglieder in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen sollen nicht klein geredet werden. So gab nach eigenen Angaben die römisch-katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2018 etwa 125,5 Millionen Euro für Flücht

lingsarbeit aus. Nicht dargelegt wird dabei der Anteil der Kirchensteuer an diesen Ausgaben, denn ein guter Teil der Kosten wird bereits durch Sachleistungen und Spenden gedeckt. Im Übrigen wird gerade die Arbeit für Geflüchtete zum großen Teil von vielen Menschen und zivilgesellschaftlichen Organisationen geleistet, die ohne jede staatliche Unterstützung auskommen müssen. Auch sie leisten eine hervorragende und unverzichtbare Arbeit.

Der Hinweis auf die wichtige Arbeit vieler Menschen in den Kirchen ist kein überzeugendes Argument für die Kirchensteuer. Zwei Drittel der Kirchensteuer werden für die Bezahlung von Pfarrer*innen und des übrigen Kirchenpersonals verwendet. Weitere Ausgabenposten sind allgemeine Verwaltungszwecke und die Instandhaltung der Gebäude. Für öffentliche soziale Zwecke bleiben – nach eigenen Angaben der Kirchen – maximal 8 Prozent der Einnahmen aus Kirchensteuern übrig, vermutlich noch weniger.

Die Kosten von kirchlichen Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen etc. werden zu 85 bis 100 Prozent aus öffentlichen Steuermitteln oder durch Beiträge, Krankenkassen oder direkt von Bund, Ländern und Gemeinden finanziert. Die Besorgnis, ein Wegfall der Kirchensteuer gehe zu Lasten der Schwächeren, überschätzt den Eigenanteil der Kirchen an den Kosten dieser Arbeit und vereinnahmt die Tätigkeit vieler Ehrenamtlicher für den eigenen Apparat.

Der stetig wachsende Vermögensbestand sowie die umfassende staatliche Finanzierung haben es den Kirchen ermöglicht, eine bedeutende wirtschaftliche Macht zu erlangen. Rund 130 Milliarden Euro fließen jedes Jahr durch ihre Hände. Das entspricht in etwa dem Inlandsumsatz der deutschen Automobilindustrie. Mit ihren insgesamt über 1,8 Millionen Beschäftigten sind die großen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas mit ihren rund 1,3 Millionen Beschäftigten die größten Arbeitgeber nach dem Staat. Da die Stellen bei Diakonie und Caritas aber im Wesentlichen durch die Sozialkassen finanziert werden, ist die Sorge vor einem Verlust vieler Arbeitsplätze durch ein Ende der Kirchensteuer unbegründet. Den Kirchen stünden zudem auch nach dem Ende des staatlichen Einzugs die Beiträge ihrer Mitglieder zur Verfügung.

5. Religionszugehörigkeit geht Arbeitgeber*innen nichts an

Der Staat verpflichtet Arbeitgeber*innen, die Kirchensteuer zu berechnen und abzuführen. Dazu müssen die Beschäftigten ihren Arbeitgeber*innen ihre Religionszugehörigkeit mitteilen. Diese Praxis steht im Widerspruch zur Garantie des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 der Weimarer Verfassung: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, …, als davon Rechte und Pflichten abhängen …“.

Zwar ist es den Datenschutzbehörden gelungen, die Zweckbindung der Information „Religionszugehörigkeit“ im Bereich der Arbeitgeber*innen zu erreichen. Gerade in kleinen und mittleren Betrieben erfahren aber Chef und Chefin genau, wer von den Beschäftigten welcher Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft angehört oder auch nicht. Diese indirekte Offenbarungspflicht verletzt die Rechte der Beschäftigten und kann keinen Bestand haben. Das gilt im Übrigen auch für Pflichten der Arbeitgeber*innen, dem Finanzamt gegenüber Zuarbeit bei der Abführung von Kirchensteuern zu leisten. Arbeitgeber*innen, die der Kirche nicht angehören, ist nicht länger zumutbar, solche Dienstleistungen für die Kirchen zu erbringen.

6. Streichung der Religionszugehörigkeit im Melderecht

Nicht nur die Finanzbehörden gelangen etwa bei Wohnsitzwechsel in den Besitz der Meldedaten, einschließlich der Religionszugehörigkeit. Auch Kirchen bzw. Religionsgesellschaften erhalten bei Wechsel des Wohnsitzes ohne Kenntnisnahme und ohne Zustimmung der Betroffenen jeweils Kontrollmitteilungen der Meldeämter.

Diese Praxis ist ein schwerwiegender Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schützt in Artikel 9 Abs. 1 gerade auch religiöse und weltanschauliche Überzeugungen und Mitgliedschaften als „besondere Kategorie(en) personenbezogener Daten“.

Andere “Vereinszugehörigkeiten” oder die Mitgliedschaft in einer Partei oder Gewerkschaft werden aus guten Gründen auch nicht auf dem Standesamt oder bei einer Behörde gemeldet und beendet. Dass man für ein so sensibles, persönliches Thema wie die Konfessionszugehörigkeit einen Sperrvermerk setzen lassen kann, reicht als Schutz nicht aus und ist nicht länger akzeptabel. Problematisch ist überdies, dass ein Kirchenaustritt als Voraussetzung für die Beendigung des Kirchensteuerabzugs immer noch bürokratisch sehr aufwändig und in der Regel sogar kostenpflichtig ist.

7. Keine Zahlungspflicht ohne Wissen der Betroffenen

Die Mitgliedschaft in den beiden großen christlichen Kirchen wird größtenteils durch die Taufe begründet. Die beiden großen Kirchen praktizieren grundsätzlich die Säug

lings- oder Kindertaufe. Kirchensteuerpflichtig werden Steuerpflichtige in Deutschland damit nicht durch eine eigene Entscheidung, sondern durch die Willenserklärung ihrer Eltern. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt die Betroffenen sind und ob ihnen bzw. ihren rechtlichen Vertreter*innen die Rechtsfolgen der Taufe (Steuerpflicht) überhaupt bewusst ist. Wer als Kleinkind getauft wurde, bleibt auch nach dem Austritt der Eltern Mitglied der Kirche. Das gilt sogar dann, wenn die Betroffenen nicht einmal etwas von ihrer Mitgliedschaft wissen. Kirchensteuer ist stets solange fällig, bis eine Person selbst formal aus der Kirche austritt. Ansonsten muss sie für viele Jahre Kirchensteuern nachzahlen.

Nach der deutschen Vereinigung im Jahre 1990 wurden frühere DDR-Bürger*innen mit hohen nachträglichen Zahlungen belegt. Sie konnten nicht lückenlos nachweisen, keine Mitglieder der Kirchen zu sein. Ein Berliner Finanzamt verlangte daher die rückwirkende Zahlung von Kirchensteuern mit der Begründung, die Betroffene sei nun einmal – auch ohne ihr Wissen und Zutun – durch ihre Taufe Kirchenmitglied.

In einigen Fällen wurde die Kirchensteuer sogar bei Personen eingetrieben, die aus dem Ausland zugezogen waren, ohne das hiesige System überhaupt verstanden zu haben oder sich einer Kirchenmitgliedschaft überhaupt bewusst zu sein.

Ein derart rabiater Umgang mit Menschen ist mit dem individuellen Selbstbestimmungsrecht der Menschen unvereinbar und muss abgeschafft werden.

8. Kirchensteuer als Abbild eines ungerechten Steuersystems

Kirchenmitglieder haben auch auf Kapitalerträge Kirchensteuer zu entrichten. Daher behält der Staat bei Vermögensgewinnen automatisch pauschal 25 Prozent Abgeltungssteuer ein.

Das Verfahren bei der Entrichtung der Kirchenkapitalertragsteuer hat öffentlich großen Unmut hervorgerufen. Vielen Zahlungspflichtigen wurde erstmals bewusst, dass hinter ihrem Rücken Informationen über ihre Religionszugehörigkeit bis zu ihren Banken gelangten. Die Kirchenkapitalertragsteuer wird im Wege einer Veranlagung auf Basis einer Steuererklärung – und damit ohne Kenntnis der ansonsten abzugsverpflichteten Bank – erhoben (§ 51a Abs. 2c Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 lit.e EStG). Wenigstens können Steuerbürger*innen der elektronischen Übermittlung ihrer Religionszugehörigkeit durch das Bundeszentralamt für Steuern an ihre Bank durch einen Sperrvermerk widersprechen. Diese Konzession kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahlungspflichtigen von sich aus aktiv werden müssen, um die unerwünschte Verwendung ihrer Daten durch die Banken zu verhindern. Im Übrigen werden die Zahlungspflichtigen von den Banken nicht mehr jährlich über den Sachverhalt informiert, wie es nach Einführung des Verfahrens zunächst geschah.

Gleichzeitig zahlen die Kirchen selber aber keine Kapitalertragsteuern auf Vermögensgewinne, da sie nach Einkommensteuergesetz davon befreit sind. Bei einem geschätzten Kapitalvermögen der Kirchen im dreistelligen Milliardenbereich und einer einprozentigen Verzinsung wären das mindestens 250 Millionen Euro pro Jahr. Dabei ist zu beachten, dass diese Vergünstigung auch von denen mitfinanziert wird, die keine Mitglieder der Kirchen sind.

9. Die Kirchensteuer schwächt innerkirchliche Reformbewegungen

Die beiden großen christlichen Kirchen verfügen über rund zwölf Milliarden Euro Steuereinnahmen im Jahr. Ob mehr Geld tatsächlich mehr Gutes bewirkt, wird auch innerhalb der Kirchen zunehmend kritisch gesehen.

Die Kirchen erhalten über die als „Steuer“ klassifizierten Mitgliedsbeiträge ihre Einnahmen unabhängig von der Leistung des Kirchenpersonals und der Qualität ihrer Leistungen. Die Kirchenmitglieder haben mit ihren Zahlungen keinen Einfluss auf die Verwendung der Mittel durch die Kirchen. Ein „Steuerboykott“ wird staatlich ausgeschlossen. Aufgrund der Verstaatlichung des Beitragseinzugs fehlt beispielsweise den innerkirchlichen Reformbewegungen ein wirksames Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Wer nicht zahlt, muss die Kirche verlassen.

Im Ergebnis stärkt so der Staat die überkommenen Hierarchien, weil er sie abkoppelt von ihrer – zahlungspflichtigen – Basis.

10. Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen beenden

Das sog. „besondere Kirchgeld“ ist eine besondere Form der Kirchensteuer. Es wird ebenfalls im Zuge der Erhebung der Einkommenssteuer von den Finanzämtern für die Kirchen eingezogen. Alleinverdiener*innen werden auch dann zur Kasse gebeten, wenn sie selbst aus der Kirche ausgetreten sind, die „restliche“ Familie diesen Schritt aber nicht vollzogen hat.

III. Kirchensteuer nur ein Baustein der Kirchenfinanzierung

Die Transparenz der Kirchen über eigene Vermögen ist regional recht unterschiedlich

und insgesamt höchst lückenhaft. Die Vielzahl der Zuwendungen steht in einem auffälligen Kontrast zu den erheblichen Vermögenswerten der beiden großen Kirchen, deren Höhe auf rund 200 Milliarden Euro geschätzt wird. Für die größten Landeigentümerinnen in Deutschland dürfte sich dieser Vermögenswert angesichts erheblich steigender Immobilienpreise noch deutlich weiter nach oben bewegen.

Die Kirchensteuer wiederum ist nur ein Teilbereich der öffentlichen Finanzierung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Dieser besteht im Wesentlichen aus drei Säulen:

Erste Säule: Historische Staatsleistungen

Dazu zählen letztlich auch die vielen direkten Zuwendungen wie Dotationen, Kirchenbaulasten, etc. Die Zahlungen der Bundesländer (außer Hamburg und Bremen) an die evangelische und die römisch-katholische Kirche beliefen sich im Jahr 2020 auf 569.537.500 Euro. Seit 1949 wurden insgesamt 18.985.732.000 Euro aus Steuermitteln an die beiden großen Kirchen gezahlt.Die 1919 in der Weimarer Verfassung verankerte und 1949 im Grundgesetz übernommene Verpflichtung zur Ablösung dieser „Staatsleistungen“ wird auch nach über 100 Jahren noch immer ignoriert; der Bund hat das erforderliche Ablösegesetz bis heute noch nicht beschlossen. Hier ist die neue Bundesregierung gefordert, diesen letztlich verfassungswidrigen Zustand zum frühestmöglichen Zeitpunkt endlich zu beenden.

Zweite Säule: Indirekte Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden

Diese Zuwendungen sind finanziell noch umfänglicher als die „historischen Staatsleistungen“. Sie sind teils freiwillig wie beispielsweise die von den Kommunalvertretungen jeweils beschlossene Alimentierung von Kirchentagen und viele andere Zuwendungen mehr.

Die Zahlungen können aber auch auf rechtlichen Vereinbarungen wie Konkordaten, Staatskirchenverträgen und sonstigen Staatsverträgen beruhen. Das betrifft beispielsweise die Steuerfreistellung, die staatliche Finanzierung der Militär- und Krankenhausseelsorge, den konfessionellen Religionsunterricht sowie die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. Viele Bischöfe werden sogar direkt oder indirekt (über „Dotationen“ des Landes) aus allgemeinen Steuermitteln – somit auch der Nicht-Mitglieder – bezahlt. Zahlreiche Bauwerke werden von Kommunen und Ländern unterhalten. Eine zusammenfassende und exakte bundesweite Übersicht über diviel

fältigen Zuwendungen existiert nicht, was die öffentliche Debatte erschwert und wohl auch erschweren soll.

Dritte Säule: Die Kirchensteuer

„Kronjuwel“ der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist ihr Recht, Mitgliedsbeiträge als Steuer zu erheben. Voraussetzung dafür ist lediglich ihre Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung). Die Voraussetzungen für diese Anerkennung wurden im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung günstiger gefasst. Trotzdem ist es bis heute dabei geblieben, dass im Wesentlichen nur die evangelische und römisch-katholische Kirche mithilfe des Staates Kirchensteuern erheben. Weitere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die dies tun dürften, machen hiervon zumeist keinen Gebrauch (Ausnahme: z.B. die altkatholische Kirche). Im Ergebnis privilegiert der staatliche Einzug der Kirchensteuern daher einseitig die beiden großen christlichen Kirchen, obwohl diesen beiden Kirchen heute nur noch ein begrenzter Teil der Bevölkerung angehört. Zurzeit sind jeweils ca. 25 Prozent der Bevölkerung bei ihnen Mitglied, mit weiter abnehmender Tendenz.

Steuern sind rechtlich etwas völlig anderes als Mitgliedsbeiträge. Steuern sind öffentliche Abgaben an ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen (Bund, Land, Kommune). Auch die Kirchensteuer ist rechtlich eine echte Steuer i.S. der Abgabenordnung. Der Staat verleiht den begünstigten Kirchen die – eigentlich nur ihm zustehende – Steuerhoheit. Er macht sie damit faktisch zum Staat im Staate. Anders als für aufgabenbezogene und zweckgebundene Gebühren und Beiträge können Steuerpflichtige die Zahlung nicht verweigern oder an die Zahlung Bedingungen knüpfen.

Die Kirchensteuer in Deutschland nimmt weltweit eine Sonderstellung ein. Nach einem langwierigen Vorlauf im 19. Jahrhundert und nach kontroversen Debatten in der Weimarer Nationalversammlung wurden den Kirchen 1919 in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) das Recht zugestanden, eine „Steuer“ zu erheben. Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) hat diese Bestimmung des  Artikel 137 Abs. 6 WRV übernommen (inkorporiert). Seinerzeit gehörten aber noch über 95 Prozent der Menschen in Deutschland einer der beiden christlichen Großkirchen an. Davon ist bis heute nur die Hälfte der Bevölkerung übriggeblieben, mit weiter stark sinkender Tendenz.

Trotz der seit den 1970er Jahren stetig sinkenden Mitgliederzahlen konnten allein die beiden großen christlichen Kirchen mit 12,71 Milliarden Euro im Jahr 2019 einen Spitzenwert bei den Einnahmen verbuchen; 6,76 Milliarden Euro für die römisch-katholische Kirche und 5,95 Milliarden Euro für die Evangelische Kirche. Die Corona-Krise führte nur zu überschaubaren Mindereinnahmen bei immerhin 6,45 Milliarden Euro Steuereinnahmen für die römisch-katholische Kirche und 5,63 Milliarden Euro für die evangelische Kirche. Langfristig rechnen Fachleute allerdings mit sinkendem Steueraufkommen.

Warum ist den Kirchen der staatliche Steuereinzug so immens wichtig? Das immer wieder zur Rechtfertigung des Status Quo vorgebrachte Argument, der Fiskus er- halte für den staatlichen Kirchensteuereinzug durch die von den Kirchen bezahlten Gebühren einen Betrag, der die tatsächlichen Kosten für die staatliche Tätigkeit übersteige, führt in die Irre. Der Hinweis übersieht, dass nicht die Kirchen selbst die Kosten tragen, sondern ausschließlich die Kirchensteuerzahler*innen. Es geht auch nicht darum, dem Staat zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Die großen Kirchen  führen die Gebühr an den Fiskus gerne ab, weil sie ganz offenkundig der Zahlungsmoral ihrer Mitglieder misstrauen. Das Beharren auf dem geltenden Inkasso durch die Finanzämter ist das Eingeständnis, diese Beiträge nur mit Hilfe des Staates und seinen fiskalischen Sanktionsmöglichkeiten eintreiben zu können.

Das immer wieder vorgebrachte Argument, durch die Tätigkeit der Finanzämter eigene Verwaltungsaufwendungen einzusparen, überzeugt in Zeiten einer modernen Datenverarbeitung längst nicht mehr. Die Rationalisierung der Mitgliederverwaltung durch die elektronische Datenverarbeitung macht Mitgliederverwaltung heute deutlich billiger und leistungsfähiger als in früheren Zeiten. Große mitgliederstarke Vereine nutzen – ganz unabhängig von ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld – ohne staatliche Hilfe die modernen technischen Möglichkeiten. Der ADAC beispielsweise hat mittlerweile mehr Mitglieder als die evangelische Kirche und nimmt kein Finanzamt in Anspruch.

Das Grundgesetz schreibt im Übrigen die geltende Praxis des staatlichen Kirchensteuereinzugs keineswegs fest. Garantiert wird in Artikel 137 WRV bzw. in Artikel 140 Grundgesetz nur die Verwendung der „bürgerlichen Steuerlisten“ der Finanzbehörden. Der Staat muss lediglich „helfen“, nicht aber selbst unter Einsatz seiner Zwangsmittel kassieren. Für eine Reform dieser überkommenen Praxis stehen dem Staat auch ohne Grundgesetzänderung weitgehende Gestaltungsspielräume zur Verfügung.

Dies hat auch die vom Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen 2014 eingesetzte Fachkommission festgestellt, auf deren Expertise die Bundesdelegiertenkonferenz (Parteitag) in Münster 2016 ihren Grundsatzbeschluss zur Religionspolitik verabschiedet hat, der grundlegenden Reformbedarf anmahnt. Für eine Reform, die die Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer betrifft, ist keine Grundgesetzänderung erforderlich. Dies gilt unbeschadet einer Diskussion darüber, ob eine Grundgesetzänderung zur Klarstellung wünschenswert sein könnte.

Sprecher*innen der BAG Säkulare Grüne:
Walter Otte Hannah Wettig

Rückfragen bitte an Jürgen Roth, juergenroth@t-online.de, Tel. 0172-260 28 64

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