Erklärung des Vorstandes des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne zum Özdemir/Beck – Papier „Den Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte für Muslime, Aleviten, Jeziden!“
Der Vorstand des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne begrüßt ausdrücklich die sich aus dem Papier ergebende Intention, von der bisherigen grünen Islampolitik abzurücken, die weitgehend kritiklos die Interessen der konservativ-orthodoxen Islam-Verbände unterstützt hat.
Besonders erfreulich ist, dass Cem Özdemir und Volker Beck die bereits im Beschluss der Vollversammlung der Säkularen Grünen in Erfurt am 28.02.2015 dargelegte Auffassung teilen, wonach die Islamverbände DITIB, Islamrat, Verband der islamischen Kulturzentren und Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) keine Religionsgemeinschaften sind und damit nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung von Körperschaften des öffentlichen Rechts besitzen.
Die Säkularen Grünen haben in ihrem Erfurter Beschluss erklärt, dass es nicht Aufgabe des Staates sein darf, religiöse Traditionen um ihrer selbst willen zu kultivieren, dass stattdessen die Freiheit bestehen muss, sich von Herkunftstraditionen zu distanzieren und dass es verfehlt ist, religiös–kulturelle Identitäten zu stärken, die die individuelle Emanzipation und das verträgliche Zusammenleben der Menschen eher mindern als fördern. Solche freiheitliche Orientierungen sind aber bei den genannten Verbänden gerade nicht vorhanden. Cem Özdemir und Volker Beck haben in ihrem Papier betont, dass die Verbände „in ihrer Zusammensetzung national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt“ sind: „Die Vereins- und Verbändelandschaft ist strukturell allerdings weniger von religiösen Identitäten geprägt, sondern vielmehr von politischen, sprachlichen und ethnischen Differenzen aus den Herkunftsländern oftmals der Eltern oder Großeltern der heutigen Muslime in Deutschland.“
Der Vorstand des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne stimmt mit Cem Özdemir und Volker Beck darin überein, dass es sich bei den konservativ-orthodoxen Islamverbänden lediglich um religiöse bzw. religionspolitische Vereine handelt, deren Förderung durch die Gesellschaft und staatliche Stellen politisch äußerst bedenklich wäre. Hervorzuheben ist diese Stelle im Özdemir / Beck – Papier: „Wenn man aber unter dem Begriff der Religionsgesellschaft zuließe, dass politische oder sprachlich-kulturelle Identitäten für die Herausbildung von Vereinen von Gläubigen entscheidender seien als gemeinsame oder eben verschiedene Glaubensvorstellungen, würde man einer Politisierung von Religion das Wort reden, wie man sie in einer freiheitlichen Gesellschaft und einem weltanschaulich neutralen Staat nicht wollen kann.“
Hinsichtlich DITIB gilt zudem, dass sie organisatorisch, personell und finanziell unmittelbar von der türkischen Religionsbehörde Diyanet abhängig ist. Eine Organisation mit religionspolitischer Anbindung an eine Regierungsbehörde kann kein Beteiligter am religiösen Dialog in Deutsch- land sein und erst recht nicht beanspruchen, Gesprächspartner staatlicher Stellen zu sein.
Cem Özdemir und Volker Beck stehen mit ihrer Auffassung für eine immer breiter werdende Mehrheit innerhalb Bündnis 90/Die Grünen, die sich abwendet von einer Position, die in Hinsicht auf „den Islam“ jede Differenzierung hat vermissen lassen und schon damit der Realität nicht gerecht wird.
Auch die Kommission des Bundesvorstandes „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ , in der u.a. der Bundesvorstand (mit Simone Peter und Bettina Jarasch), Volker Beck, Katrin Göring-Eckhardt, Sven Giegold, die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen im NRW-Landtag Sigrid Beer sowie Grüne verschiedener Parteiebenen, mit christlicher, jüdischer und muslimischer Identität, und auch der Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne, vertreten sind, hat vor kurzem eine ebenso kritische Haltung gegenüber den konservativ-orthodoxen Islamverbänden eingenommen, wie sie im Papier von Cem Özdemir und Volker Beck zum Ausdruck kommt.
Insoweit stehen beide nicht ohne einen breiten Rückhalt innerhalb der Partei da. Das zeigt sich auch deutlich in dem Ergebnis der Wahl von Cem Özdemir zum Bundesvorsitzenden der Partei am vergangenen Wochenende. Von lediglich zwei „Einzelmeinungen“ innerhalb von Bündnis 90 / Die Grünen, wie es einzelne Stimmen nach der Rede von Cem Özdemir auf der BDK in Halle meinten, kann nun überhaupt nicht die Rede sein.
Der Vorstand des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne fordert eine breite Diskussion in der Partei über die Neuausrichtung grüner Islam-Politik. Dabei wird es nicht zuletzt darauf ankommen, liberale und huma- nistische Muslim*innen in den religionspolitischen Dialog einzubeziehen und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, auf Entscheidungen zu islamischem Religionsunterricht und zu islamischen Theologischen Fakultäten wirksam Einfluss nehmen zu können.
Aus Sicht der Säkularen Grünen zeigt sich an dem aktuellen Beispiel der Islam-Verbände aber zudem deutlich, dass es einer grundsätzlichen Debatte über die institutionelle Förderung und Diskriminierung von Religionen und Weltanschauungen durch den Staat bedarf. Die Säkularen Grünen orientieren auf eine grundlegende Reform des Staatskirchenrechts von 1919 und stellen das Rechtsinstitut der Körperschaft des öffentlichen Rechts grundsätzlich in Frage. Religionsgemeinschaften müssen keine institutionellen Privilegien, zum Teil aus vordemokratischer Zeit, über alle anderen Formen der zivilgesellschaftlichen Vergemeinschaftung zugesprochen werden.
In der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über „den Islam“ in Deutschland dürfen Grüne nicht auf der Seite der konservativ-orthodoxen Verbände gegen die Mehrheit der Muslim*innen stehen; mit einer Ausgrenzung von liberalen und humanistischen Muslim*innen muss Schluss gemacht werden. Bündnis 90 / Die Grünen ist jetzt auf einem besseren Weg.
26.11.2015
Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne
Vorstand –
Zur Information:
Säkulare Grüne: „Islam- und Religionspolitik von Sicherheits- und Integrationspolitik emanzipieren!“ Beschluss der VV in Erfurt 2015
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