Bündnis 90/Die Grünen Staatsleistungen ablösen

Bündnis 90/Die Grünen Staatsleistungen ablösen

Tatsache sehr gut, Fristen viel zu lang, Ablösesumme viel zu hoch. Zum Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen:

Stellungnahme der Sprecher*innen der BAG Säkulare Grüne

Am 13. März stellten FDP, Linke und Grüne einen Gesetzentwurf zur – seit 101 Jahren von der Verfassung gebotenen – Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen an die Kirchen vor.

Da ein überfraktioneller Gesetzentwurf vorliegt, kann das Thema endlich nicht mehr aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten werden. Eine solche ist allerdings auch bitter nötig, denn die vorgesehene Ablösesumme ist viel zu hoch; zusammen mit den vorgesehenen jahrzehntelangen Fristen für die Ablösung müssten die Bundesländer weiterhin noch Milliarden und Abermilliarden an Euro den Kirchen ohne Zweckbindung und ohne Verwendungsnachweis bezahlen. Wir sagen: Das kann es nicht sein!

Für uns Grüne werden mit dem Gesetzentwurf der Grundsatzbeschluss der BDK Münster von 2016 und die Forderung des Wahlprogramms von 2017 umgesetzt. Als es die Säkularen Grünen noch nicht gab, hatte bereits die BAG Christ*innen die Ablösung der Staatsleistungen thematisiert. Die BAG Säkulare Grüne hat sich von Anfang an (seit 2013) in die Initiativen zu Überwindung dieses Anachronismus eingebracht – im letzten Jahr sogar schwerpunktmäßig. Wir begrüßen daher die überfällige Initiative, und es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nach Jahrzehnten ein überfraktioneller Gesetzentwurf vorgelegt wird. Dem werden sich auch die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD nicht verschließen können.

Aber: Wir Säkulare Grüne nehmen zu den in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Fristen und der Höhe der Ablösesumme sehr kritisch Stellung.

1. Der Gesetzentwurf beschreibt die Staatsleistungen genannten Zahlungen als historisch begründet. Sie erfolgen bis heute angeblich als Ausgleich für die Säkularisierung durch Frankreich im linksrheinischen Reichsteil. Doch die immer wieder genannte Grundlage hierfür, der Reichdeputationshauptschluss von 1803, zeigt: Dies betraf einzig die katholische Kirche, während der evangelischen Kirche so gut wie nichts weggenommen wurde – zumal auch der preußische König, später der deutsche Kaiser, zugleich Oberhaupt der Evangelischen Landeskirche war. Spätere Zahlungen – allein seit 1949 über 19 Milliarden Euro – erfolgten also – bis heute – auf zweifelhafter Fakten- und Rechtsgrundlage. Die Kirchen haben ihre vermeintlichen Ansprüche nie begründen und daher auch nie präzise formulieren können. Die Höhe der Staatsleistungen ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich (siehe „Hintergrund“). Auch dies beweist: die Zahlungen sind willkürlich festgelegt worden. Im Gesetzentwurf hätte daher ein einfacher Hinweis auf die abzulösenden Staatsleitungen genügt, ohne die besagte zweifelhafte Fakten- und Rechtsgrundlage zu bemühen.

2. Denn die Weimarer Verfassung legte bereits 1919 fest, dass die Staatsleistungen „abgelöst werden“. Dass die bisherigen und weiteren Zahlungen als „Kompensationszahlungen für wirtschaftliche Gewinne dienen“ sollten, wie es der Gesetzentwurf in der Begründung (B1, B2) formuliert, ist nirgends festgelegt. Offiziell ist den Kirchen und ihren Mitgliedern ohnehin das Denken in wirtschaftlichen Gewinnen fremd. Es handelt sich zudem nicht um „Pachtersatzzahlungen“ (Gesetzentwurf, Begründung, B5), auch nicht „im weitesten Sinne“, wie es der Gesetzentwurf vorsichtig formuliert. Jedenfalls kann daher auch von einem „Äquivalenzprinzip“ keine Rede sein. Dies müssten auch die Autor*innen des Gesetzentwurfs wissen. Das Reden vom „Äquivalenzprinzip“ dient denn auch dazu, die hohen Ablösesummen – siehe unten – zu rechtfertigen. Das sogenannte Äquivalenzprinzip wäre hier also nicht nur ungerecht, sondern auch unbegründet. Die Zahlungen haben schon jetzt 19 Milliarden Euro allein seit 1949 betragen.

3. Die Aufgabe eines Ablösegesetzes ist die Beendigung eines verfassungswidrigen Zustands. Dies darf nicht von Opportunitäts-Erwägungen geleitet sein. Deshalb ist es richtig, dass der Gesetzentwurf jetzt endlich vorgelegt ist, auch wenn die Delegitimierung der Privilegierung der beiden größten Kirchen durch massenweise Kirchenaustritte in einigen Jahren noch weiter fortgeschritten sein wird. Die Kirchen sollten sich des Risikos bewusst werden, dass sie mit jedem Jahr, in dem keine tragbare Lösung gefunden wird, einen Imageschaden erleiden könnten, der in seinen finanziellen Auswirkungen weit über den der bisher erhaltenen Staatsleistungen hinausgeht.

4. Eine Übergangszeit von bis zu mehr als 20 Jahren (die Zeit, bis das Grundsätzegesetz des Bundes verabschiedet ist plus anschließend maximal 20 Jahre bis zur Ablösung), in der die „normalen“ Staatsleistungen weiterzuzahlen sind, ist deutlich überzogen. Denn dies würde weitere laufende Zahlungen von bis zu weiteren 11,4 Milliarden Euro (ohne die üblichen jährlichen Steigerungen!) bedeuten, die zu den Ablösezahlungen noch hinzukommen.
Daher unsere Forderung: Es sollen erheblich kürzere Fristen in das Grundsätzegesetz des Bundes geschrieben werden. Dieses soll die Bundesländer dazu verpflichten, ihre Ablösegesetze innerhalb von drei Jahren zu verabschieden; die Ablösung selbst sollte anschließend innerhalb von fünf Jahren erfolgt sein. Das ist auch finanziell möglich: Die Bundesländer haben über den Bund hohe Bonität, derzeit muss man ja sogar Negativzinsen auf die Aufnahme von Staatsanleihen zahlen!

5. Auch die Höhe der Ablösungen ist mit über 10 Milliarden Euro viel zu hoch angesetzt. Unsere BAG teilt die Einschätzung, dass nach 101 Jahren die „Entschädigung“ für zum Teil gar nicht stattgefundene Nachteile der Kirchen mehr als abgegolten ist. Aus dem oben Beschriebenen wird deutlich, dass die Zahlung einer Schwarzen Null an die Kirchen gerechtfertigt ist. Die aus dem Finanzrecht geborgte Zahl des 18,6fachen der derzeitigen jährlichen Zahlungen ist jedoch willkürlich. Der Gesetzentwurf lässt die Entscheidungsfreiheit des Bundesparlaments bei der Festlegung der Höhe der Ablösesumme unberücksichtigt.

6. Auch wenn es gesetzlich nicht nötig ist, weil einzig der Souverän entscheidet: Mit den Kirchen ist eine Übereinkunft über niedrigere Übergangsfrist und eine um mindestens die Hälfte niedrigere Ablösesumme erzielbar. Gespräche mit den Kirchen sollten auch dazu dienen, den Kirchen die Unhaltbarkeit der aktuellen Situation zu verdeutlichen. Denn es hat sich in der Kirchenhierarchie noch immer nicht überall herumgesprochen: Weder die historische noch die aktuelle Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen ohne Verwendungsnachweis und ohne Verwendungszweck ist der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vermittelbar.

7. Die Ablösung der Staatsleistungen ist nicht nur ein Verfassungsgebot, sondern auch die Überwindung eines Anachronismus aus der Zeit der Verbindung von Thron und Altar. Es ist wünschenswert, dass wir Grünen in unserem Grundsatzprogramm auch auf religionspolitischem Gebiet unsere Rolle als ökologisch-soziale Freiheitspartei in einer demokratischen und modernen Gesellschaft formulieren werden, in der solche Dinge wie bedingungslose Staatsleistungen an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften weder in der Gegenwart noch in der Zukunft etwas zu suchen haben.

Hintergrund:

1. Der Gesetzentwurf

https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/religion/grundsaetzegesetz-interfraktioneller-ge.pdf

2. Das sind die Staatsleistungen und ihre aktuelle Höhe
(nach: Humanistische Union http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/abschaffung-der-staatsleistungen-an-die-kirchen-statt-jaehrlich-steigende-staatsleistungen/ )

Der Staat überweist den Kirchen Geld ohne Verwendungsnachweis und ohne Verwendungszweck, jährlich immer mehr. Diese Leistungen sind unabhängig von der Kirchensteuer und von Zahlungen für kirchlich erbrachte Dienste wie in Kindergärten oder Altenheimen.

Die Haushaltspläne der Länder sehen für die evangelische und die katholische Kirche 2020 nahezu 570 Millionen vor. Im vergangenen Jahr waren es noch 549 Millionen Euro; das entspricht einer Steigerung von 3,8 Prozent. Die jährliche Anhebung ist eine Folge der in den meisten Staatskirchenverträgen enthaltenen Klausel, wonach die Zahlungen an die Kirchen automatisch der Entwicklung der Beamtenbezüge angepasst werden.

Der weitere Rückgang der Anzahl von Kirchenmitgliedern – im vergangenen Jahr vermutlich um rund 600.000 Personen – hat dagegen auf die Höhe der Staatsleistungen keinen Einfluss.

Auf die evangelische Kirche entfallen im laufenden Jahr rund 332 Millionen Euro, auf die katholische Kirche „nur“ 237 Millionen Euro, obwohl die Zahl der katholischen Gläubigen (Stand: Ende 2018) mit 23 Millionen Mitgliedern deutlich über der Zahl der Protestanten (21,1 Millionen) liegt.

Diesen Unterschied erklären die Länder und die Kirchen ebenso wenig wie die frappierenden Unterschiede zwischen den Bundesländern: Während Hamburg und Bremen nichts zahlen, erhalten die Kirchen in Baden-Württemberg 132 Millionen Euro und in Bayern 102 Millionen Euro.
Nimmt man als Maßstab die Einwohnerzahl der Länder, dann liegt Sachsen-Anhalt mit 16,53 Euro je Einwohner*in an der Spitze, vor Rheinland-Pfalz mit 15,36 Euro, Thüringen mit 12,61 Euro und Baden-Württemberg mit 11,90 Euro. Am Ende der Skala liegen das Saarland mit 0,69 Euro und das Nordrhein-Westfalen mit 1,32 Euro je Einwohner*in. Etwa im Bundesdurchschnitt (6,86 Euro) befinden sich Sachsen und Niedersachsen. Seit 1949 haben die Kirchen rund 19 Milliarden Euro Staatsleistungen von den Ländern erhalten.

Bei den Staatsleistungen handelt es sich um zweckbindungsfreie staatliche Zahlungen an die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche. Die Verwendung der Gelder können die Rechnungshöfe nicht prüfen. Nicht zu verwechseln sind die Staatsleistungen mit den leistungsgebundenen staatlichen Zahlungen an Kirchen bzw. kirchliche Träger für sozial-karitative und sonstige Aktivitäten, etwa den Betrieb von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen sowie für Entwicklungshilfe oder Denkmalpflege.

Die 1919 in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung (Artikel 138) sowie das Grundgesetz (Artikel 140) schreiben im Zuge der Trennung von Staat und Kirche seit über 100 Jahren die Ablösung der Staatsleistungen, also die Beendigung dieser Zahlungen vor. Dieser Verfassungsauftrag ist bislang nicht umgesetzt worden.

3. Bündnis Altrechtliche Staatsleistungen Abschaffen (BAStA)

Stellungnahme des BAStA zum Gesetzentwurf

13 Fragen und 13 Antworten zu den Staatsleistungen
https://staatsleistungen-beenden.de/hintergrund/staatsleistungen-faq/

Der Verfassungsauftrag – Auszug aus dem Grundgesetz

Reichsdeputationshauptschluss von 1803 in heutigem Deutsch.

4. Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne (BAG)

a) Bausteine für einen Gesetzesentwurf:
http://saekulare-gruene.de/wp-content/uploads/2016/01/Bedingungen-die-ein-Bundesgrunds%C3%A4tzegesetz-zur-Abl%C3%B6sung-der-Staatsleistungen-beinhalten-muss.pdf

b) Forderung nach Ende der Staatsleistungen ohne Ablösesumme
http://saekulare-gruene.de/wp-content/uploads/2017/03/Positionspapier-zur-Abloesung-der-Staatsleistungen-Saekulare-Gruene-2014–06-29.pdf

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