Derzeit gibt es in Berlin eine politische Auseinandersetzung darüber, ob in Zeiten von Corona und zur vermeintlichen Minimierung der durch den Lock-Down verursachten wirtschaftlichen Schäden in größerem Umfang die grundsätzlich verbotene Sonntagsarbeit durch Öffnung von Handelsunternehmen zugelassen werden soll.
Die LAG Säkulare Grüne Berlin hat hierzu in einem Schreiben vom 06.08.2020 an die grünen Parteivorsitzenden in Berlin und dieFraktionsvorsitzenden im AGH Stellung genommen.
Diese Stellungnahme veröffentlichen wir im folgenden.
LAG Säkulare Grüne Berlin
Stellungnahme zu
Lockerung des Sonntagsschutzes für Arbeitnehmer*innen
An die Landesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Berlin und die Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus
Liebe Nina (Stahr), lieber Werner (Graf), liebe Antje(Kapeck), liebe Silke (Gebel),
wir haben den Medien entnommen, dass der Berliner Senat offenbar eine Lockerung des Sonntagsschutzes für Arbeitnehmer*innen plant. Die grüne Bürgermeisterin Ramona Pop schlägt vor, dem Einzelhandel pauschal einen verkaufsoffenen Sonntag im Monat zuzubilligen.
Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Angriffe auf das gesetzliche Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Durch viele Ausnahmegenehmigungen ist dieser Arbeitnehmer*innenschutz bereits jetzt erheblich durchlöchert. Gegen die Begehrlichkeiten aus der Wirtschaft haben immer wieder Gewerkschaften und Kirchen opponiert. Dabei ist nicht einmal nachgewiesen, dass Sonntagsöffnungen im Handel zu mehr Umsatz führen würden.
Eine vorübergehende „Corona-Regelung“ zusätzlicher verkaufsoffener Sonntage können wir nur als Kompensation für ausfallende verkaufsoffene Sonntage akzeptieren und unter der Voraussetzung, dass:
Ø die Regelung automatisch Ende Januar ausläuft,
Ø nur Arbeitnehmer*innen, freie oder anders selbstständige Mitarbeiter*innen und Minijobber*innen aus der Stammbelegschaft eingesetzt werden, die sich freiwillig bereit erklären an diesen Sonntagen zu arbeiten, und
Ø kleinere Betriebe nicht aus vertraglichen oder sonstigen Gründen gezwungen sind, ihre Geschäfte an diesen Tagen ebenfalls zu öffnen.
Bündnis 90/Die Grünen hat in dieser Angelegenheit eine klare Position: „An den gesetzlichen Feiertagen wollen wir festhalten: Die Gesellschaft braucht Sonn- und Feiertage, damit sich die Menschen jenseits von Büro- und Ladenöffnungszeiten ausruhen und das soziale Miteinander pflegen können.“ (BdKBeschluss vom November 2016).
Im Abschlussbericht der vom Bundesvorstand berufenen Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ heißt es dazu deutlich: „Wir setzen uns daher vor allem aus kulturellen, sozialen und arbeitsethischen Gründen für den Schutz von Sonn- und Feiertagen ein. Die Gesellschaft braucht Sonn- und Feiertage, damit sich Menschen jenseits von Büro- und Ladenöffnungszeiten ausruhen können. (…) Der Schutz von Feier- und Sonntagen sollte gerade vor dem Hintergrund neoliberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsvorstellungen in Bezug auf die Abschaffung von gesetzlichen Feiertagen (z.B. Buß- und Bettag, St. Josefi, 17. Juni) einen hohen Stellenwert einnehmen. Wir kritisieren vor allem die Zunahme rein konsumorientierter verkaufsoffener Sonntage.“
Die LAG Säkulare Grüne Berlin hat in einem Positionspapier bereits 2014 den umfassenden Schutz der Arbeitsverbote an Sonn- und Feiertagen verlangt:
„1. Sonntage und gesetzliche Feiertage sind in Deutschland als den Lebensrhythmus strukturierende Tage der Arbeitsruhe, der Erholung sowie des familiären und sozialen Miteinanders gesellschaftlich allgemein akzeptiert.
2. Durch ihre Festlegung als (arbeitsfreie) Sonntage und gesetzliche Feiertage begründen sie in starker Weise den Anspruch von Arbeitnehmer_innen auf bezahlte Freistellung von der Arbeit. Eine Beschäftigung von Arbeitnehmer_innen an Sonnund Feiertagen ist gesetzlich grundsätzlich ausgeschlossen und somit der Dispositionsbefugnis von Arbeitgeber_innen entzogen. Die Arbeitsbefreiung muss nicht individuell von den Arbeitnehmer_innen ausgehandelt werden. Dieser erreichte sozialpolitische Standard darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Ausnahmen von der Arbeitsbefreiung sind nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zuzulassen.“ Setzen wir uns weiterhin (gemeinsam mit Gewerkschaften, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften) für ein striktes Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein. Lassen wir es nicht zu, diese den Lebensrhythmus strukturierenden Tage der Arbeitsruhe, der Erholung sowie des familiären und sozialen Miteinanders zu beschädigen. Wir fordern alle politischen Entscheidungsträger*innen in Berlin auf, keine weiteren verkaufsoffenen Sonntage im Land Berlin (außer im Rahmen der oben genannten Bedingungen) zuzulassen. ….-“
Berlin, den 06.08.2020 LAG Säkulare Grüne Berlin
Herbert Nebel Corinna Steinwärder
Sprecher stellv. Sprecherin
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Weiterer Auszug aus dem Bericht der Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ zur Begründung des besonderen Sonn- und Feiertagsschutzes:
„Gesetzliche Feiertage sind vom Grundsatz her, ebenso wie Sonntage, Tage der Arbeitsruhe, die den Lebensrhythmus der Menschen strukturieren und der Erholung sowie des familiären und sozialen Miteinanders dienen. In Artikel 140 des Grundgesetzes wurde der Artikel 18 139 der Weimarer Reichsverfassung “Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt” übernommen. Diese kollektiv freien Tage sind in der Bevölkerung in der Regel allgemein akzeptiert. Dabei spielt es keine Rolle, welche Bedeutung subjektiv der religiösen Sinngebung den einzelnen Feiertage beigemessen wird.
Wir setzen uns daher vor allem aus kulturellen, sozialen und arbeitsethischen Gründen für den Schutz von Sonn- und Feiertagen ein. Die Gesellschaft braucht Sonn- und Feiertage, damit sich Menschen jenseits von Büro- und Ladenöffnungszeiten ausruhen können. Wir sehen vor allem die inflationäre Zunahme verkaufsoffener Sonntage sehr kritisch und fordern die Bundesländer auf, durch zurückhaltendere Regelungen bezüglich derartiger Events stärkere Rücksicht auf den Schutz der Sonntage zu nehmen. Es muss Zeit für Familie und FreundInnen, für religiöse oder weltanschauliche Praxis, für Sport, Hobbys und Kulturveranstaltungen oder ehrenamtliches Engagement vorhanden sein. Für den gemeinsamen Rhythmus und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind einheitliche arbeitsfreie Tage von großer Bedeutung, zumal es hierbei eben nicht nur um die Ruhe des Einzelnen geht, sondern um Ruhetage für Familien, Gruppen, Gemeinschaften, die gemeinsam begangen werden können.
Eine Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist gesetzlich grundsätzlich ausgeschlossen. Die Arbeitsbefreiung muss somit nicht individuell von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Dieser erreichte sozialpolitische Standard darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Ausnahmen von der Arbeitsbefreiung sind in eng begrenzten Ausnahmefällen zuzulassen, wobei nicht nur die besondere Situation von Krankenhäusern, Polizei, Feuerwehr und ähnlichen Einrichtungen und Berufsgruppen zu berücksichtigen ist, sondern zum Beispiel auch die Gastronomie.
Der Schutz von Feier- und Sonntagen sollte gerade vor dem Hintergrund neoliberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsvorstellungen in Bezug auf die Abschaffung von gesetzlichen Feiertagen (z.B. Buß- und Bettag, St. Josefi, 17. Juni) einen hohen Stellenwert einnehmen. Wir kritisieren vor allem die Zunahme rein konsumorientierter verkaufsoffener Sonntage.““ (BdKBeschluss vom November 2016).
Quellen:
Beschluss BDK 2016
https://cms.gruene.de/uploads/documents/RW-01_Religions-_und_Weltanschauungsfreiheit.pdf
Bericht der Kommission „Religionsgemeinschaften, Weltanschauungen und Staat 2016
https://bettina-jarasch.de/wp-content/uploads/2016/03/Abschlussbericht_ReliKomm_GR%C3%9CNE.pdf
Positionsbestimmung Säkulare Grüne Berlin 2014
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