Kirchliches Arbeitsrecht jetzt grundlegend refomieren – Zeitfenster für Reformen nutzen

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme von Gewerkschaftsgrün und den Bundesarbeitsgemeinschaften Arbeit, Soziales, Gesund und Säkulare Grüne wird an die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen apelliert, sich jetzt innerhalb der Regierungskoalition für eine konsequente Reform des diskrimierenden besonderen Kirchlichen Arbeitsrechts einzusetzen.

Eine erste Phase der koalitionsinternen Befassung mit dem Kirchlichen Arbeitsrecht geht Ende Januar zu Ende. In den sog. Kirchengesprächen befassten sich unter Leitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales je zwei Vertreter*innen in drei Tagungen mit den Themenbereichen „Individuelles Arbeitsrecht“, „Kollektives Arbeitsrecht“ und „Mitbestimmung“. Beteiligt waren an den Gesprächen die rk. und die ev. Kirche, deren Wohlfahrtsverbände, Mitarbeitervertretungen, verdi und andere.

Jetzt muss entschieden werden, wie es weitergeht. Bekannt ist dazu nur, dass seitens des Bundesministeriums keine Gesetzesvorlage ausgearbeitet wird.

Jetzt ist der entscheidende Zeitpunkt, massiv auf eine grundlegende Reform des Kirchlichen Arbeitsrechts zu drängen.

Gemeinsame Stellungnahme von gewerkschaftsgrün, BAG Arbeit, Soziales und Gesundheit und BAG Säkulare Grüne

B AG Arbeit Soziales Gesundheit

BAG Säkulare Grüne

Gewerkschaftsgrün

22. Januar 2024

Kirchliches Arbeitsrecht jetzt grundlegend reformieren –
Zeitfenster für Reformen nutzen

Das im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP angekündigte Vorhaben einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts wird jetzt endlich zur Halbzeit der Legislaturperiode in Angriff genommen. Seit September 2023 laufen unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit die auf mehrere Gesprächsrunden angesetzten „Kirchengespräche“ mit den beiden christlichen Kirchen, mit Caritas und Diakonie, Mitarbeiter*innenvertretungen und ver.di, an denen Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen beteiligt sind. Das weitere Vorgehen der Koalition nach diesem Positionsaustausch ist noch nicht bekannt.

Unerlässlich ist es, dass die Koalitionsfraktionen nach den Gesprächen Reformen realisieren, bevor sich das enge Zeitfenster für dieses gesellschaftspolitisch höchst wichtige Projekt für diese Legislaturperiode wieder schließt.

Wir betonen die eindeutige Position von Bündnis 90/Die Grünen, wie sie bereits im letzten Bundestagswahlprogramm enthalten war und auf der 48. BDK am 15.10.2022 von den Delegierten nahezu einstimmig bekräftigt wurde:

Voller Schutz der Beschäftigten – auch in kirchlichen Einrichtungen. Ein Arbeitsrecht für Alle

Wir Grüne fordern für die Beschäftigten der Kirchen und kirchlicher Einrichtungen
Gleichbehandlung im Arbeitsrecht mit allen anderen Arbeitnehmer*innen. Das individuelle und das kollektive kirchliche Arbeitsrecht müssen dringend und umfassend reformiert werden.
Anstelle innerkirchlicher Regelungen muss der Staat seiner Verantwortung als Gesetzgeber gerecht werden.
Die Ausnahmeregelungen zu Lasten der Beschäftigten im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind nicht akzeptabel. Wir fordern, dass die Verweigerung des Schutzes der Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen durch das Betriebsverfassungsgesetz in § 118 Abs. 2 BetrVG und durch Personalvertretungsgesetze beendet wird.
Die gewerkschaftliche Mitbestimmung muss umfassend gefördert werden.
Der religiöse Verkündigungsbereich bleibt von den Neuregelungen unberührt.
Die Rechte der Beschäftigten müssen auch in Hinsicht auf die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen und Flächentarifverträgen gestärkt werden. …“

Damit wurde der grundlegende Beschluss der BDK 2016 in Münster „Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft“ konkretisiert und fortentwickelt. Dort heißt es zum kirchlichen Arbeitsrecht u.a.:

Bündnis 90/Die Grünen sehen dringenden Reformbedarf hinsichtlich des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Individuelle Grundrechte (…) können im Konflikt stehen mit dem Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen“. „Allerdings gilt dieses Recht nicht unbeschränkt, sondern muss mit anderen Grundrechten bzw. Grundrechtspositionen Anderer ausgeglichen werden (praktische Konkordanz). Dies kann zu neuen Entwicklungen bei der Verwirklichung von Grundrechten führen, wie wir es beispielsweise für das kirchliche Arbeitsrecht fordern.“

Wir erwarten von der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, diese eindeutige Position in den Verhandlungen mit den anderen Koalitionspartnern konsequent umzusetzen und sind bereit, jede erdenkliche Unterstützung zu leisten.

Die geplante Reform betrifft ca. 1,8 Millionen Beschäftigte bei den christlichen Kirchen und in Betrieben in kirchlicher Trägerschaft, die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip einen wesentlichen Beitrag für das Gemeinwohl, etwa im Sozial- und Gesundheitsdienst sowie in der frühkindlichen Bildung und Betreuung leisten.

Sie dürfen nicht Arbeitnehmer*innen 2. Klasse sein und nicht länger

  • Diskriminierungen wegen Weltanschauung, Kirchenaustritt, Privatsphäre ausgesetzt sein,
  • beim Ausbalancieren von Interessenunterschieden mit dem Arbeitgeber im Arbeitsalltag in ihren betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt werden,
  • in ihrer gewerkschaftlichen Betätigung beeinträchtigt werden, indem ihre Gewerkschaft aus der betrieblichen Interessenvertretung kirchenrechtlich ausgeschlossen wird – beispielsweise haben Gewerkschaften kein eigenständiges Recht zur Teilnahme an Mitarbeiterversammlungen und können bei Wahlen zur Mitarbeitervertretung nicht kandidieren – und
  • bei der Wahrnehmung ihres grundrechtlich garantierten Streikrechts mit arbeitsrechtlichen Sanktionen bedroht werden.

Wir heben ausdrücklich hervor, dass es zur Verbesserung der Rechtspositionen der Beschäftigten gesetzlicher Regelungen bedarf, mit denen insbesondere § 118 Abs. 2 BetrVG abgeschafft und die Betriebe in kirchlicher Trägerschaft im sozialen und kari-tativen Bereich mit solchen außerhalb kirchlicher Trägerschaft gleichgestellt und ins Betriebsverfassungsgesetz einbezogen werden. Ein allgemeiner Tendenzschutz i.S.d. § 118 Abs 1 BetrVG reicht aus, um berechtigte Belange kirchlicher und weltanschau-licher Einrichtungen zu gewährleisten.

Bestehende gesetzliche Ausnahmeregelungen zu Lasten der Beschäftigten z.B. im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, im Arbeits- und Gesundheitsschutz für Auszubildende u.ä. müssen endlich ersatzlos aufgehoben werden. Kirchen müssen das Schwerbehindertenrecht und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt anwenden. Arbeitsvertragsrichtlinien dürfen Tarifverträgen nicht gleichgestellt werden.

Die Identität der Kirche bleibt unbeeinträchtigt auch unter Anwendung des normalen, für alle geltenden Arbeitsrechts, wie das weltweit der Fall ist und wie es auch in der Weimarer Republik war. Das fördert die Akzeptanz in der Gesellschaft und auch innerhalb der Kirchen selbst.

Durch die innerkirchliche Initiative „Out in Church“ ist seit Anfang 2022 noch einmal ein Schlaglicht auf den Reformbedarf u.a. für Beschäftigte geworfen worden, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität Schutz vor Diskriminierung brauchen. Mit ihnen erklären wir uns ausdrücklich solidarisch. Wir erkennen an, dass die katholische Kirche mit der Reform der kirchlichen Grundordnung einen Schritt für mehr Sicherheit der Beschäftigten im individuellen Arbeitsrecht getan hat. Wir sehen, dass die evangelische Kirche im kollektiven Arbeitsrecht Reformen vornimmt.

Doch auch die jüngsten kirchlichen Reformpapiere, die aufgrund von Druck aus Öffentlichkeit und Mitarbeiterschaft zustande kamen, sind von zahlreichen Stimmen aus guten Gründen als unzureichend kritisiert worden. Denn kirchliche Mitarbeiter*innen erhalten dadurch keine Gleichstellung mit anderen Arbeiternehmer*innen und es sind Rechtsunsicherheiten geblieben.

Ein aktiver Gesetzgeber steht ganz unabhängig vom Geschehen bei den beiden christlichen Konfessionen in der Verantwortung, dass die Beschäftigten aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Arbeitsrecht gleichgestellt werden mit allen anderen Arbeitnehmer*innen in Deutschland. Bündnis 90/Die Grünen treten ein für eine plurale Gesellschaft und für einen selbstbewussten, weltanschaulich neutralen Staat. Eine weitere Zersplitterung des Arbeitsrechts durch zusätzliche religiöse und weltanschauliche Wohlfahrtsverbände ist zu vermeiden. Einheitliches Arbeitsrecht für alle ist das Ziel.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist deshalb aufgefordert, auf Grundlage der eindeutigen grünen programmatischen Reformposition mit Nachdruck für eine gesetzliche Regelung zur Beseitigung der Diskriminierungen des kirchlichen Arbeitsrechts innerhalb der Koalition einzutreten und für die Umsetzung dieser Reform zu sorgen.

Beschluss der 48. BDK vom 15.10.2022 https://cms.gruene.de/uploads/documents/Beschluss_V-05_Voller_Schutz_der_Besch%C3%A4ftigten__auch_in_kirchlichen_Einrichtungen_______Ein_Arbeitsrecht_f%C3%BCr_Alle.pdf auf Antrag der BAG Säkulare Grüne nahezu einstimmig beschlossen

gewerkschaftsgrün: https://gewerkschaftsgruen.de/

BAG Arbeit, Soziales, Gesundheit: https://gruene-bag-arbeit-soziales-gesundheit.de/startseite

BAG Säkulare Grüne: http://saekulare-gruene.de/

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